Pfad der Schatten reiter4
zufällig hier und hat den König besucht?«
»Nein«, antwortete Laren. »Sie ist die ganze Zeit im Schwarzschleierwald gewesen. Wir haben nichts von ihr gehört.«
Ben schien völlig verblüfft. »Dann war es wohl ein Traum. Es schien so …« Er räusperte sich, immer noch hochrot. »Seiner, meine ich. Sein Traum.«
Laren hob eine Augenbraue. Ein solcher Traum also, dachte sie. So amüsant und ein wenig beunruhigend dies auch war, ihre größte Sorge war, was es für Zacharias bedeutete, dass er von Ben nun keine Heilungskraft mehr benötigte. Niemand hatte ihr etwas erzählt. Sie hatte seit Tagen nicht einmal Destarion gesehen und bereits geargwöhnt, dass man sie vergessen
hatte. Gerade wollte sie Ben fragen, ob er etwas darüber wusste, als ein Grüner Bote in der Tür erschien.
»Ihr werdet im Thronsaal verlangt, Hauptmann Mebstone.«
Laren stand auf und hoffte, dass sie nun herausfinden würde, was mit Zacharias geschehen war – und was ihr selbst bevorstand.
GERICHT
Larens Wächter zischte und fluchte wütend, während er versuchte, mit ihr Schritt zu halten. Er war nicht mehr der Jüngste und hinkte, da er ein verletztes Knie hatte. Ich kann ihm nicht helfen, dachte sie. Sie war viel zu lange eingesperrt gewesen, mochte die Unterkunft auch noch so groß und komfortabel gewesen sein, und es fühlte sich wunderbar an, sich wieder ungehindert zu bewegen und das Blut durch ihre Adern pumpen zu spüren, aus dem Käfig befreit, auch wenn sie Angst vor dem hatte, was auf sie zukam.
Vor den Türen zum Thronsaal blieb sie stehen, um Atem zu schöpfen und ihre Jacke glatt zu ziehen, und ihr Wächter holte sie stolpernd ein. Sie erkannte den Türfeldwebel, der mit seinem gewaltigen Schlüsselring am Gürtel vor ihr stand. Sie nickte ihm zu, und er nickte zurück. Ihrem Wächter befahl er wegzutreten. Dann öffneten er und ein Subalterner die Türen des Thronsaales, um sie eintreten zu lassen. Sie ging hinein, ohne sich umzublicken.
So schnell es die Etikette zuließ, eilte sie über den langen Teppich, vorbei an Säulen aus Sonnenlicht, die durch die hohen Fenster hereinfielen und sich mit Schatten abwechselten. Das Licht, die Dunkelheit, die Wärme, die Kälte. Sie sah, dass einige Leute schon auf sie warteten: Kastellan Sperren, der sich auf seinen Amtsstab stützte, die unverkennbare kantige Gestalt von General Harborough, Meister Destarion, zu dessen
Füßen sein Heilerbeutel lag, und Colin Dovekey, der aufgrund seiner schwarzen Kleidung fast mit den Schatten verschmolz.
Estora saß sehr still und mit leerem Gesicht auf ihrem Thron und schien zu Stein erstarrt zu sein. Laren hatte unwillkürlich Mitleid mit ihr, weil sie in eine so schwierige Situation geraten war.
Laren hatte die Versammelten in wenigen Augenblicken erfasst, während sie vorwärtshastete, aber ihre Hauptaufmerksamkeit galt ihm . Zacharias saß zusammengesunken auf seinem Thron neben Estora, den Kopf auf die Hand gestützt. Freude beschleunigte ihren Schritt. Er war wach! Er war sogar aus dem Bett aufgestanden! Sie musste sich sehr zusammennehmen, um nicht zu ihm zu rennen und ihn zu umarmen, aber so etwas ließ das Protokoll nicht zu. Momentan war er der König und sie seine Dienerin.
Ihre Freude wurde außerdem von Sorge gedämpft, weil seine Schultern so gebeugt waren und er so abgezehrt und bleich aussah. Er war immer robust und stark gewesen, und es war hart, ihn so zu sehen – er erschien ihr geradezu zerbrechlich.
Als sie das Podium erreicht hatte, fiel sie mit gesenktem Kopf auf die Knie. »Eure Hoheit…en.« Sie biss sich auf die Lippen, denn sie hätte beinah vergessen, dass es nun zwei gab.
»Stehen Sie auf, Hauptmann Mebstone«, sagte Zacharias. Seine Stimme klang so, wie sie sie in Erinnerung hatte, nur etwas stiller. »Stehen Sie auf und stellen Sie sich neben mich, wie Sie es gewohnt sind.«
Als sie aufgestanden war und ihn ansah, lächelte er sie warm an, und ihre Augen verschwammen vor Rührung. Während sie sich auf seine Seite des Podiums stellte, fügte er hinzu: »Sie sehen gesund aus. Man sagte mir«, und nun klang seine Stimme beißend, »Sie wären krank gewesen.«
»Jetzt, wo ich Euch wieder auf den Beinen sehe, geht es mir
gut, mein Herr. Ich hatte gar nicht gehört …« Sie schluckte und beschloss, dass sie besser schwieg. Außerdem war sie nicht sicher, ob sie dazu in der Lage gewesen wäre, ohne in eine Tränenflut auszubrechen. Alle ihre Ängste um sein Leben und davor, was alles hätte
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