Pfad der Schatten reiter4
gefangen zu sein«, und später hatten die Schwestern Berry erwähnt, dass eine der »Sachen« ihres Vaters, irgendein obskures Objekt, zerbrochen war, und dass dadurch plötzlich ein Piratenschiff in ihrem Haus erschienen war.
»Ein Flaschenschiff«, murmelte er und vor seinem geistigen Auge erschien eine dieser geschickten Arbeiten der Kunsthandwerker, die man in Läden kaufen konnte. Manch ein Seemann oder Schiffsbauer stellte so etwas den Winter über her. Aber ein normales, großes Schiff in einer Flasche? Er atmete tief und langsam aus. Seit dem Herbst war seine frühere Auffassung der Welt erheblich herausgefordert worden. Es war besser, nicht zu lange über Schiffe in Flaschen nachzudenken. Es war besser, das Unmögliche einfach zu akzeptieren und weiterzumachen.
»Als die Hexe den Fluch ausgesprochen hat«, fuhr Yap fort, »legte sich der Wind, und alles wurde ruhig, viel zu ruhig. Der Wind kam nie wieder. Nie, nie wieder. Wir lagen in der Flaute, als wären wir in den Stillen Straßen der Südsee. Aber zumindest kommt in den Stillen Straßen ab und zu ein Wind auf, und früher oder später findet man dann die Passatwinde. Aber da gab es keinen Passatwind. Wir wurden ganz zappelig. Manche dachten an Meuterei. Uns würden bald Essen und Wasser ausgehen, und dann passierte das auch. Es war furchtbar. Wir hatten den ganzen Schatz, aber wir waren irgendwo draußen, wo die Sterne keinen Sinn ergaben. Tagsüber hing Seenebel am
Horizont und schloss uns ein wie eine Wand. Wir waren in dem Gewässer gefangen. Es war nicht normal, so was kann nur ein Fluch sein. Nein, die Hexe war gar nicht glücklich darüber, dass wir das alles auf ihrer Insel geraubt hatten.«
»Erinnerst du dich«, fragte Amberhill, »wo diese Insel war?«
»Das ist lange her, Herr«, sagte Yap, »und ich war kein Navigator, nur einfacher Matrose. Ich weiß nur, dass sie im Archipel vom Nordmeer lag.«
Zu dem Hunderte von Inseln gehörten.
»Glaubst du, du würdest die Insel erkennen, falls du sie wieder siehst?«
»Weiß nicht. Vielleicht. Aber …« der Pirat schauderte. »Ich würde sie nicht wiedersehen wollen. Flüche und Pech.«
»Hmm.«
In diesem Augenblick erhellte das Flackern eines goldenen Lichts die Bibliothek. Amberhill wirbelte herum und sah seinen Leibdiener Brigham in der Tür stehen, eine Lampe in der Hand. Selbst in Schlafanzug und Morgenmantel sah der Mann tadellos aus.
»Mein Herr? Ist alles in Ordnung? Ich habe Stimmen gehört.« Dann schnupperte er und runzelte angeekelt die Stirn, als er Yap entdeckte. Er kniff die Augen zusammen, und sein Stirnrunzeln vertiefte sich.
»Guten Morgen, Brigham«, sagte Amberhill. »Alles ist in Ordnung.«
»Soll ich Frau Landen wecken, damit sie für Euch und Euren … Bekannten das Frühstück zubereitet?«
Amberhill warf Yap einen schnellen Blick zu, und das zusätzliche Licht erhellte schonungslos, wie verdreckt der Pirat in seinen Lumpen aussah; er starrte vor Schmutz, und seine Haare schienen voller Seetang zu sein. Ein winziges Etwas krabbelte in der verfilzten Masse herum. Etwas mit kleinen Klauen und Fühlern.
»Zunächst wünsche ich, dass Herr Yap in einem heißen Bad gründlich abgeschrubbt wird. Wir werden seine Kleider verbrennen, und er kann vorläufig einen meiner Morgenmäntel anziehen.«
Brigham, den Amberhill als stets effizient und unerschütterlich kannte, sah bei dem Gedanken, Yap zu baden, völlig entsetzt drein. Dann nahm er sich zusammen. »Sehr wohl, Herr. Wie Ihr wünscht. Ich werde Badewasser heiß machen.«
»Gut, und für mich auch ein Becken«, sagte Amberhill. Es würde eine große Erleichterung sein, sich die Reste von Keelers blutiger Leiche von den Händen zu waschen.
Brigham nickte, drehte sich auf dem Absatz um und verließ den Raum, wobei er seine Lampe mitnahm.
»Was habt Ihr da über ein Bad gesagt, Herr?«, fragte Yap mit furchtsamer Stimme.
»Du wirst eins nehmen.«
Selbst in dem schwachen Licht konnte Amberhill den empörten Ausdruck auf Yaps Gesicht sehen. »A-aber ich habe euch die Geschichte erzählt. Ihr habt gesagt, es soll mein Schaden nicht sein.«
»Und das wird es auch nicht. Nach deinem Bad. Ich mache weder Geschäfte, noch frühstücke ich mit jemandem, der seit Monaten nicht gebadet hat.«
»Seit Jahren«, korrigierte Yap voller Stolz.
»Tatsächlich«, antwortete Amberhill. Er würde Brigham einen Bonus genehmigen, nachdem er seine Aufgabe mit Yap bewältigt hatte. Er fragte sich, wie viel von dem Piraten übrig
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