Pfad der Seelen
nicht weglaufen oder schreien oder etwas anderes tun, als ganz ruhig zu bleiben. Verstehst du das?«
» Wenn es hilft, Maggie zu retten«, sagte Jee, der sich die einzigen Worte herausgriff, die für ihn eine Rolle spielten.
» Du musst versteckt bleiben, Jee. Und ruhig.«
» Wenn es hilft, Maggie zu retten.«
Er vertraute mir vollkommen – vielleicht, weil er keine andere Wahl hatte. Ich wusste, wie sich das anfühlte. Ich setzte ihn in ein dichtes Nest im Unterholz, eine halbe Meile vom Fluss entfernt, wo man ihn nicht entdecken konnte. Dann drückte ich meine verbrannte und verbundene linke Hand fest an die Rechte, schrie auf und zwang mich dazu, den Pfad der Seelen zu betreten.
Der Sturm hatte noch zugenommen. Blitze zuckten über einen übelriechenden Fluss, in dem Stromschnellen schäumten. Der Boden bebte so sehr, dass es schwer war, aufrecht zu stehen. Regen prasselte mir ins Gesicht, durchnässte in nur wenigen Augenblicken meine Kleider. Ich war nicht weit entfernt von einem Hauptmann der Blauen erschienen, der sich jetzt auf dieser Seite des Flusses befand. Er rannte herüber und rief: » Der Gefangene der Hexe! Du bist zurück, Junge! Was gibt es Neues?«
Ich nickte. Es war schwer, über den heulenden Wind hinweg etwas zu hören. Durch den Regen sah ich, dass die Armee der toten Blauen auf mehrere Hundert angewachsen war. Hatte Lord Solek all jene getötet, die Widerstand geleistet hatten? Es schien wahrscheinlich, aber ich hatte keine Zeit, danach zu fragen.
» Die besten Neuigkeiten sind«, rief ich, den Mund dicht am Ohr des Hauptmanns, » dass wir zurück ins Königinnenreich gehen, um zu kämpfen und unsere Stadt zurückzuerobern.«
Sein Gesicht, über das der Regen lief, hellte sich auf. Seine Lippen zogen sich zurück, und er bleckte die Zähne, sodass ich beinahe vor dem wilden Leuchten des Hasses in seinen Augen zurückscheute.
» Jawohl, und gerade zur rechten Zeit, Junge! Wir haben unsern Schlachtplan fertig. Aber etwas ist mit dem Hexenland passiert.« Er schloss mit einer Geste die ganze Landschaft ein: aufgewühlt, bebend, stürmisch, verkümmert, auseinanderfallend.
Er wusste nicht, dass ich dafür verantwortlich war. Ich hatte die Ordnung von Leben und Tod gestört. Ich hatte eine große Anzahl von Toten davon überzeugt, dass sie gar nicht tot waren, und sie so davon abgehalten, in jenen ruhigen, abwartenden Dämmerzustand überzugehen, der ihre natürliche nächste Station war. Schlimmer noch, ich hatte Kauz und dann Cecilia zurück ins Land der Lebenden gebracht. Ein hisaf konnte diese Reise machen, aber sonst sollte es niemand tun. Diese Personen aus dem Land der Toten zu entfernen, hatte glatt den Stoff zerrissen, aus dem dieser heilige Ort bestand.
Und nun war ich dabei, ihn noch in weitaus schlimmere Fetzen zu reißen.
» Hauptmann, holt all Eure Männer in …« Ich suchte nach dem militärischen Fachausdruck, den ich bei der Königin aufgeschnappt hatte. » … in enger Formation zusammen. Hier, sofort. Wir müssen schnell handeln!«
» Hast du das Amulett?«
Amulett? Welches Amulett? Dann erinnerte ich mich: Das Amulett, das ich erfunden hatte, um Cat Starling zu retten – die Amulette, mit deren Anfertigung ich die Soldaten beauftragt hatte. Dasjenige des Hauptmanns hing ihm an einer Schnur um den Hals. Lügen über Lügen – und alle waren sie nötig gewesen.
» Ja«, rief ich über den Wind hinweg, » ich bringe Euch das Amulett, und noch viel mehr dazu! Gebt Euren Männern den Befehl!«
Es brauchte nur einige Rufe, bis ein paar Hundert Männer in ordentlichen Reihen auf der bebenden Erde aufgestellt waren. Ich sagte: » Sie müssen sich gegenseitig an der Taille halten, alle zusammen.«
Der Hauptmann starrte mich an. Etwas leuchtete in seinen Augen auf – Zorn, in den sich plötzlicher Zweifel mischte. » Das sind Soldaten, Junge! Sie können so nicht kämpfen!«
» Nicht zum Kämpfen. Um das Hexenland zu verlassen. Oder sie müssen für immer hierbleiben.«
Er starrte mich an, und einen Augenblick lang glaubte ich, er würde es nicht tun. Aber dann drehte er sich um und erteilte den Befehl. Seine verdutzten Männer sahen sich gegenseitig an, blickten finster drein, murmelten, starrten mich an – und einer nach dem anderen legte die Arme um den Mann, der ihm am nächsten stand, sodass aus den ordentlichen Reihen eine riesige, unbehagliche Masse wurde. » Ihr auch«, sagte ich zum Hauptmann.
» Nein.«
Ich zuckte die Schultern. » Dann bleibt
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