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Pfad der Seelen

Pfad der Seelen

Titel: Pfad der Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Kendall
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Raum grün erscheinen. Alle waren grün – also war es der Hofstaat der jungen Königin. Ein Höfling packte eine der Dienerinnen und schwang das entsetzte Mädchen herum, um zu Fiedel und Flöte zu tanzen.
    » Hast du noch nie eine Küche gesehen, Hal?«
    » Hal sieht nur Schlafgemächer!«
    » Ich habe noch nie eine Küche gesehen. Ich dachte, Essen wächst … wächst …« Der Mann wandte sich ab, riss seine Maske herunter und übergab sich auf einen Tisch, auf dem sich frisches Brot stapelte.
    » Pfui!«
    » Steckt ihn in eine dieser Kisten!«
    » Steckt ihn in den Schmortopf!«
    Aber diese trunkene Anmerkung, die ich nicht ganz verstand, brachte einige der Höflinge und alle Diener zum Schweigen. Die Gesichter der Diener verzogen sich angewidert oder ängstlich, und dann wurden sie plötzlich wieder starr. Niemand, nicht einmal der Küchenverwalter, wusste, was wir tun sollten. Das Fiedeln und Tanzen und Gelächter und Geschrei nahm kein Ende.
    » Gebt Hal noch etwas Bier!«
    » Gebt ihm eine Küchenmagd!«
    » Bier! Bier!«
    » Die Königin!«
    Sofort hörten die Musikanten auf zu spielen. Höflinge und Diener sanken gleichermaßen auf die Knie. Wie ein starker Regen senkte sich die Stille herab, und die alte Königin betrat die Halle.
    Sie war allein, abgesehen von ihrer persönlichen Garde aus zwei blauen Soldaten. Königin Eleanor, sechzig Jahre alt, hatte einundvierzig Jahre lang regiert, seitdem ihre Mutter bei einem Jagdunfall ums Leben gekommen war. Sie trug ein Kleid aus blassblauer Seide, das am Saum mit dunklerem Blau bestickt war. Ihr Gesicht wies tiefe Falten auf, ihr Haar war weiß wie die Schwinge eines Silberreihers. Aber sie stand groß und aufrecht da, und Macht strahlte wie beständige Hitze von ihr aus.
    Niemand bewegte sich oder sagte etwas.
    Als die alte Königin das Schweigen brach, sprach sie mit leiser Stimme, die in jeden Winkel der Halle drang, in jedes aufmerksame Ohr. Ihr Blick schweifte über die Höflinge. » Keiner von euch gehört hierher.«
    Da bemerkte ich, dass ich noch stand, neben den Gemüsekisten erstarrt. Ich versuchte, zu Boden zu sinken, ohne Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen.
    Die Stimme der Königin nahm einen herrschaftlichen Ton an. » Caroline.«
    Das Rascheln von Röcken wurde laut; diese Dame hatte nicht gekniet. Sie nahm ihre Maske aus grünen Federn auf Goldstoff ab. » Ja.«
    Das also war die junge Königin!
    Ihre Mutter sagte: » Besonders du gehörst nicht hierher.«
    » Dies ist mein Palast. Und dies ist mein Zeitvertreib, ehe mein Bruder uns verlassen muss.«
    Königin Caroline, siebenunddreißig Jahre alt, war schön. Auch gefährlich, auf eine Art, die ich spüren, aber nicht verstehen konnte. Ihr Körper zeigte üppige Kurven unter einem grünen Mieder, aber das traf auch auf viele andere Hofdamen zu. Der Unterschied lag in ihren Augen, schwarz mit silbernem Schimmer, als würde etwas tief unter der Oberfläche dunkler Wasser glitzern. Der Unterschied lag in der Art, wie sie ihre weißen Schultern hielt, in der Weise, wie sie ihre herrlichen Brüste vorstreckte, in der Komplexität ihrer Haartracht, schwarz wie ihre Augen, geflochten und aufgebauscht und mit Edelsteinen dekoriert, ganz im Gegensatz zum glatten weißen Haar der alten Königin.
    Die beiden Frauen starrten sich gegenseitig an. Ich konnte ihre Gesichter deutlich erkennen. Die alte Herrscherin musterte ihre Tochter. Obwohl keine der Königinnen das Gesicht verzog, knisterte zwischen ihnen der Hass. Und keine senkte das Kinn oder blinzelte.
    Königin Eleanor sagte eisig: » Ein seltsamer Zeitvertreib, die Küchendiener am Vorabend der Hochzeit deines Bruders zu tyrannisieren.«
    » Das ist meine Entscheidung«, sagte die junge Königin, » und ich kann sie treffen.«
    » Dem ist nicht so. Rupert!«
    Der Prinz nahm die Maske ab und trat vor. Er trug Grün, kein Blau, vielleicht, um sich unauffällig unter Königin Carolines Hofstaat mischen zu können. Aber selbst mir war klar, dass es eine tödliche Beleidigung war, die Farbe seiner älteren Schwester und nicht die seiner Mutter zu tragen. Er wirkte genauso ansehnlich wie an dem Tag, als ich ihn mit Lady Cecilia gesehen hatte, vor all jenen langen Monaten. Er stand trotzig neben seiner Schwester, eine Hand auf ihrer Schulter.
    Die alte Königin sagte: » Rupert, kehr zu deiner Frau zurück, die dich oben erwartet. Deine Manieren sind beklagenswert.«
    » Ja, Mutter«, murmelte er. Dies war nicht der gebieterische Prinz, der Hofdamen

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