Pfad der Seelen
Lederrüstungen und groben Sandalen gekleidet, als wären sie zusammen gestorben. Wie die übrigen Toten wiesen sie keine Verletzungen oder Verstümmelungen auf. Die ganze Gruppe beachtete mich nicht. Wegen ihrer altmodischen Kleidung nahm ich an, dass sie schon sehr lange hier waren.
Die Berge im Westen waren ganz verschwunden, als würde sich das Tal nun weiter erstrecken als bei meinem letzten Besuch, und der Fluss erschien noch breiter und träger. Ich war allerdings noch auf der Insel. Ich lief an ihrem Ufer entlang, zwischen Baumgruppen hindurch, auf der Suche nach der alten Königin. Ich fand Kreise von Toten, weitere Tote, die im Gras lagen oder auf Steinen saßen – wo war sie?
Ich fand sie, als sie aus dem Fluss ans Ufer watete, vor Zorn sprühend. Wasser troff aus ihrem blauen Seidenkleid und von ihrer Krone, einem einfachen Silberband auf ihrem weißen Haar. Selbst nass strahlte Königin Eleanor eine erschreckende Würde aus. Selbst zornig. Selbst tot.
Ich fiel auf ein Knie. » Euer Gnaden!«
» Wer bist du? Wo bin ich?« Und dann, einen Augenblick später: » Ich bin tot.«
Es hatte keine Sinn, diese Frau anzulügen. » Ja, Euer Gnaden.«
» Und du bist … du bist der Narr meiner Tochter! Mit der dummen gelben Farbe überall auf dem Gesicht!«
» Ja, Euer Gnaden.«
» Was ist mit dir geschehen, Junge, bist du auch tot?«
Ich dachte rasch nach. » Ja, Euer Gnaden.«
» Und dies ist das Land der Toten.« Sie wandte sich dann nachdenklich um, und ich sah, wie auch bei ihr jene nachdenkliche Zurückgezogenheit der Toten einsetzte. In ein paar Augenblicken würde es mir vielleicht nicht mehr möglich sein, überhaupt zu ihr durchzudringen.
Verzweifelt fragte ich: » Wurdet Ihr vergiftet, Euer Gnaden?«
Damit errang ich ihre Aufmerksamkeit. » Was?«
» Seid Ihr von Eurer Tochter, Königin Caroline, vergiftet worden? Hat Euch letzte Nacht oder heute Morgen irgendein Bote aufgesucht, oder gab es irgendeinen Fremden in Euren Gemächern? Ist irgendetwas geschehen, das vielleicht zu einer Vergiftung geführt hat?« Ich wusste nicht, wonach ich suchte.
» Caroline«, sagte sie abwesend, als versuchte sie, sich an den Namen zu erinnern. Es geschah in diesem Augenblick, genau vor meinen Augen. Sie löste sich von den Lebenden. Sie war nicht länger jener Liebe, jenem Hass und jenen Banden unterworfen.
» Eure Tochter, die neue Königin! Die Euch vielleicht vergiftet hat und nun Euer Königinnenreich in Besitz nimmt! Euer Gnaden!«
Sie setzte sich anmutig ins Gras und starrte eine Blume an. Ich hatte sie verloren. Dies war eine alte Frau, die ich nicht zu fröhlichen Geschichten aus der Kindheit verlocken konnte.
Ich schlug mir mit der Faust auf den Oberschenkel. Dass ich dieses Wagnis für nichts auf mich genommen hatte! Ich musste jetzt zurückkehren. Ich musste …
Zwei Soldaten tauchten nicht weit von mir entfernt auf. Sie trugen das Blau von Königin Eleanor. Mein Körper schirmte sie vor ihnen ab, aber einer rief: » Der Narr der Hure! Ergreift ihn!«
Er rannte mit gezogenem Schwert auf mich zu. Der andere, der nicht so schnell dachte, blickte sich verwirrt um. Ich trat zur Seite und machte eine Geste: » Eure Königin!«
Das hielt den angreifenden Soldaten auf. Er fiel auf die Knie und beugte den Kopf. » Eure Majestät! Seid Ihr sicher?«
Sie sagte natürlich nichts. Einen sehr langen Augenblick lang nicht. Aber dann blickte sie zu mir auf und sagte einfach: » Ja.« Einen Augenblick später war sie in die Ruhe der Toten zurückverfallen.
Der zweite Soldat kam unsicher auf mich zu. » Was ist das für ein Ort? Was … sie haben gesagt, dass Königin Eleanor tot ist …«
Dann sah ich, wie er begriff. Er blickte auf seinen Bauch hinab, als erwarte er, dort das Schwert eines Grünen stecken zu sehen, und dann blickte er wieder mich an. Ich konnte nicht anders, als von seiner Fassungslosigkeit gerührt zu sein.
Der kniende Soldat sprang auf. » Lass das Narrengeschwätz, Junge! Wo sind wir? Was für ein Hexenwerk hat die Hure uns angetan?«
Das also war meine Geschichte, die mir wie Fleisch auf einem goldenen Tablett dargeboten wurde – die gleiche Geschichte, die ich einst Kauz erzählt hatte. Wenn ich sie benutzen konnte, um diese Soldaten glauben zu machen, ich sei nicht Königin Carolines Verbündeter, sondern ihr Opfer, würden sie mir vielleicht nichts antun. Rasch sagte ich: » Ihr habt mich erwischt! Ja, die junge Königin hat ihre Zauberei bei uns allen eingesetzt, um uns
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