Pfad des Tigers - Eine unsterbliche Liebe: Roman (German Edition)
besser sehen als ich – aber ich vermutete, dass dies nicht der einzige Grund war. Unsere gemeinsame Zeit ging zu Ende, das machte ihn wehmütig. Als wir näher kamen, erkannte ich Mr. Kadams schattenhaften Umriss im Zelt.
»Klopf. Klopf. Ist dort drinnen noch Platz für zwei verwahrloste Streuner?«, fragte ich.
Der Schatten bewegte sich, und der Reißverschluss des Zelts glitt herab.
»Miss Kelsey? Kishan?«
Mr. Kadam trat heraus und umarmte mich stürmisch. Dann klopfte er Kishan auf den Rücken.
»Sie müssen halb erfroren sein! Kommen Sie herein. Ich werde Ihnen heißen Tee zubereiten. Lassen Sie mich nur rasch den Kessel holen und ein Feuer entzünden.«
»Mr. Kadam, das müssen Sie nicht. Ich kümmere mich um den Tee. Wir haben doch die Goldene Frucht!«
»Ach ja, das hatte ich vergessen.«
»Und wir haben noch etwas.«
Ich wickelte das amethystfarbene Tuch vom Hals, woraufhin es türkisblau wurde. »Weiche Kissen, bitte, und das Zelt sollte auch eine Spur größer sein«, sagte ich.
Die türkisfarbenen Fäden regten sich augenblicklich und dehnten sich. Mehrere von ihnen verwoben sich zu großen Kissen in den verschiedensten Farben. Ein weiterer Strang trennte sich ab und wand sich in großen Schleifen zum anderen Ende des Zelts. Wenige Sekunden später war das Zelt doppelt so groß, und wir konnten es uns auf dicken Kissen bequem machen. In stiller Faszination beobachtete Mr. Kadam das rege Treiben der Fäden.
Ich wollte mich gerade aus meiner Jacke kämpfen, da kam Kishan helfend herbei und streichelte meinen Arm. Ich schob seine Hand fort, aber Kishan grinste nur und ließ sich auf ein Kissen fallen.
Aufgeregt fragte Mr. Kadam: »Funktioniert es wie die Goldene Frucht, nur dass es Stoffe herstellt?«
Ich schoss Kishan einen warnenden Blick zu und erwiderte: »Ja, so in der Art.«
»›Indien lege seine Kleider an‹«, murmelte Mr. Kadam.
»Huch, ich glaube, wir könnten tatsächlich ganz Indien neu einkleiden.« Komisch, dass mir das erst jetzt in den Sinn kommt. »Einen Moment. Hat die Prophezeiung nicht auch etwas über eine ›Maske‹ gesagt?«, fragte ich.
Mr. Kadam blätterte durch seine Aufzeichnungen und fand eine Kopie der Prophezeiung. »Ja. Hier heißt es: ›Gegen grausame Verfolger helfen Maske, Diskus, Pfeil und Bogen.‹ Meinen Sie diese Stelle?«
Ich lachte. »Ja, im Nachhinein ergibt das Sinn. Sie müssen wissen, das Göttliche Tuch kann nämlich noch viel mehr. Mehr als Kleidung herstellen und Dinge weben. Wie der Sack des Gottes F u ˉ jin kann es den Wind einsammeln.«
»Möchtest du ihm jetzt zeigen, was es noch kann, Kishan?«, fragte ich.
»Sicherlich.«
Mr. Kadam beugte sich vor. »Mir was zeigen, Miss Kelsey?«
»Sie werden schon sehen.«
Kishan nahm das Göttliche Tuch, murmelte »Verkleidung« und warf es sich über den Körper. Es dehnte sich und wurde schwarz mit kreiselnden Farbpigmenten.
»Ich will herausfinden, ob es auch funktioniert, wenn ich den Namen nicht laut sage, so wie bei der Goldenen Frucht«, erklärte er unter den Falten des Stoffs hervor.
»Ja. Das ist eine gute Idee«, sagte ich.
Als sich Kishan das Tuch über den Kopf zog, war ich völlig unvorbereitet auf das, was nun folgte. Da war Ren. Er hatte Rens Gestalt angenommen.
Kishan bemerkte sofort meinen entsetzten Gesichtsausdruck. »Tut mir leid. Ich wollte Mr. Kadam nicht erschrecken, indem ich ihm sein Spiegelbild vorsetze.«
»Ist schon in Ordnung. Aber verwandle dich bitte rasch zurück.«
Das tat er, und Mr. Kadam starrte ihn entgeistert an. Mir hatte es ebenfalls die Sprache verschlagen. Ren dort sitzen zu sehen – auch wenn ich wusste, dass es in Wirklichkeit Kishan war –, ein äußerst aufwühlendes Erlebnis. Krampfhaft unterdrückte ich das Weinen.
Kishan sprang für mich ein und erklärte: »Mit dem Göttlichen Tuch kann man die Gestalt eines jeden Menschen annehmen. Kelsey hat sich in Nilima verwandelt, ich mich in dich. Wir müssen noch die Reichweite austesten und verschiedene Menschen durchprobieren, um die Möglichkeiten und Grenzen des Tuchs herauszufinden.«
»Das ist einfach … unglaublich!«, stotterte Mr. Kadam. »Äh, Kishan, dürfte ich mal?«
»Na klar.«
Er warf Mr. Kadam das Tuch zu. Sobald Mr. Kadams Finger den Stoff berührten, veränderte sich seine Farbe, bekam erst einen hellen Senfton und dann ein Olivgrün.
»Ich glaube, es mag Sie«, neckte ich ihn.
»All die vielen Menschen, denen die Goldene Frucht und dieses herrliche Tuch helfen
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