Pfad des Tigers - Eine unsterbliche Liebe: Roman (German Edition)
nächsten Tag über Rens drittem und Kishans viertem Omelett verkündete Ren, dass er wieder mit Wushu anfangen wollte. Kishan klatschte in die Hände, schien es gar nicht abwarten zu können, Ren zu verprügeln.
Die Brüder mieteten ein kleines Studio, in dem wir allein trainieren und sie mich unterrichten konnten. Sie zeigten mir keine ausgefallenen Techniken und Bewegungsabläufe, sondern verpassten mir einen Crashkurs für Anfänger in Wie-setze-ich-meinen-Gegner-schachmatt. Wir hielten es für das Beste, wenn ich ein paar wirksame Verteidigungstechniken erlernte für den Fall, dass Lokesh uns fand, und wegen all der Kreaturen, die uns möglicherweise auf der nächsten Etappe unserer Suche auflauern konnten. Wir dehn ten uns ein paar Minuten, und dann begann Ren seine Lehr stunde, indem er Kishan als Versuchsperson benutzte.
»Lektion eins. Wenn dein Angreifer auf dich zustürmt, drück die Knie durch und lass ihn näher kommen. Dann packst du seinen Arm, wirbelst um ihn herum und drückst ihm die Arme um den Hals. Wenn es ein großer Kerl ist, muss man versuchen, den Kehlkopf zu erwischen.«
Kishan lief auf Ren zu und griff ihn von hinten an. Dann war ich an der Reihe. Ren kam auf mich zu, und ich umklammerte seinen Arm und sprang an seinem Rücken hoch. Ich warf ihm die Arme um den Hals und deutete einen Würgegriff an, küsste ihn aber rasch auf die Wange, bevor ich wieder auf den Boden hüpfte.
»Gut. Lektion zwei. Wenn dir dein Angreifer in der Kampfkunst überlegen ist, versuch nicht, gegen ihn zu kämpfen. Versuch einfach nur, ihn außer Gefecht zu setzen. Ziel auf den Magen oder die Leistengegend und tritt so fest zu, wie du kannst.«
Kishan stürzte sich erneut auf Ren und vollführte einen kompliziert anmutenden Angriff. Ich erkannte einen hohen Tritt ins Gesicht mit angewinkeltem Knie und einen Roundhouse-Kick, aber er hatte noch viele andere spektakuläre Schlag- und Tritttechniken auf Lager, die ich noch nie zuvor gesehen hatte. Ren wich zurück, floh wachsam aus Kishans Reichweite, bis er eine Schwachstelle fand und Kishan mit aller Wucht in den Magen trat. Kishan war sofort wieder auf den Beinen und attackierte ihn weiter. Diesmal kämpfte er noch verbissener und warf Ren zu Boden, der mit einem mächtigen Faustschlag parierte und seine tödliche Hand erst Millimeter vor Kishans Gesicht zurückzog.
»Wenn du die Wahl hast, entscheide dich für die Lendengegend. Dort kannst du sehr großen Schaden anrichten.
Lektion drei. Ziele auf empfindliche Körperregionen. Das sind die Augen, der Kehlkopf, die Ohren, die Schläfe und die Nase. Bei den Augen – bohrt man zwei Finger hinein, nämlich so. Bei den Ohren – benutzt du beide Hände und schlägst gleichzeitig auf beide Ohren, und zwar so fest, du kannst. Bei allem anderen reicht ein kräftiger Schlag mit der flachen Hand.«
Ren zeigte mir jede Technik und bat mich dann, sie an ihm auszuprobieren. Er wollte, dass ich wirklich zuschlug, da unser Training so realistisch wie möglich sein sollte. Ich brachte es einfach nicht über mich.
Kishan seufzte, stand auf und schob Ren beiseite. »So wird sie es nie lernen. Sie muss spüren, wie sich ein richtiger Angriff anfühlt.«
»Nein, du bist zu grob. Du würdest ihr wehtun.«
»Was denkst du, werden die mit ihr anstellen?«
Ich legte meine Hand auf Rens Arm. »Er hat recht. Lass es uns ausprobieren.«
Widerstrebend stimmte Ren zu und trollte sich zur anderen Seite des Raums.
Ich stand nervös mit dem Rücken zu Kishan und wartete auf den Angriff. Er schlich sich von hinten heran, packte meinen Arm und drehte mich kraftvoll herum. Seine Hände schossen zu meinem Hals. Er würgte mich. Ein wildes Knurren erscholl, bevor Kishan mit aller Gewalt gegen die Wand geschleudert wurde. Ren stand vor mir und strich sanft über die roten Fingerabdrücke an meiner Kehle.
»Ich hab’s dir doch gesagt!«, schrie er Kishan an. »Du bist zu grob! Sie wird blaue Flecken am Hals haben!«
»Ich muss grob sein, damit es realistisch ist. Sie muss bereit sein.«
»Ren, mir geht’s gut. Lass es uns noch mal versuchen. Ich muss mich vorbereiten, damit ich bei einem Angriff klar denken kann. Vielleicht muss ich dich eines Tages retten.«
Liebevoll streichelte er meinen Hals und sah mich unentschlossen an. Schließlich nickte er und trat einen Schritt beiseite.
Kishan lief zum anderen Ende des Raums und brüllte in meine Richtung: »Nicht denken! Reagieren!«
Ich drehte mich um und wartete auf den Angriff.
Weitere Kostenlose Bücher