Pfad des Tigers - Eine unsterbliche Liebe: Roman (German Edition)
Kishan bewegte sich lautlos. Ich lauschte, wollte seine Schritte ausmachen, hörte jedoch nichts. Ganz plötzlich schlang er mir die Arme von hinten um den Hals und zerrte mich fort. Er war zu stark. Er würgte mich. Ich wand mich, schlug um mich und trat ihm auf den Fuß, aber vergebens.
Verzweifelt rang ich nach Luft und knallte meinen Kopf gegen sein Kinn. Es tat weh. Höllisch. Aber für einen kurzen Moment lockerte er seinen Griff, sodass ich mich befreien und zu Boden gleiten konnte. Sofort sprang ich auf, rammte ihm die Schulter in die Leiste und boxte ihm, so fest ich konnte, in den Magen.
Kishan ging zu Boden, krümmte sich. Ren stieß ein bellendes, lautes Lachen aus und klopfte seinem Bruder auf den Rücken. »Du hast darum gebeten! Nicht denken. Reagieren. O Mann! Ich wünschte, ich hätte eine Kamera dabei!«
Ich zitterte vor Anstrengung. Ich hatte es geschafft, war mir jedoch bewusst, dass ich es niemals mit mehr als einem Angreifer aufnehmen könnte. Wie sollte ich nur Ren beschützen, wenn ich mich kaum um mich selbst kümmern konnte? »Geht’s Kishan gut?«
»Ja, keine Sorge. Gib ihm nur eine Minute.«
Ren war wie berauscht von meinem kleinen Sieg. Kishan stand mit schmerzverzerrtem Gesicht auf. »Das war gut, Kelsey. Wäre ich ein echter Mensch, hättest du mich für mindestens fünf Minuten ausgeschaltet.«
Mir war ein bisschen übel. »Ihr zwei? Können wir für heute Schluss machen? Mein Kopf dreht sich. Ich glaube, ich brauche ein Aspirin. Im Vergleich zu euch erhole ich mich nämlich nicht so schnell.«
Ren wurde schlagartig nüchtern, befühlte meinen Schädel und ertastete eine Beule. Er bestand darauf, mich zum Auto zu tragen, obwohl ich genauso gut hätte selbst laufen können. Als wir zu Hause waren, legte er mich aufs Sofa, versetzte Kishan im Vorbeigehen einen harten Schlag in den Bauch und eilte in die Küche, um einen Beutel Eis für meinen Kopf zu holen.
Während der folgenden zwei Wochen trainierten wir intensiv, und ich gewann allmählich an Selbstvertrauen, dass ich bei einem Angriff eine gewisse Chance hätte. Kishan und Ren wechselten sich ab, nachts die Umgebung zu durchstreifen, damit sich niemand ins Haus schleichen und uns überraschen konnte.
Ich verstaute einen Notfallrucksack unter dem Vordersitz von Kishans schwarzem GMC -Pick-up mit Kleidung und ein paar Sachen, die ich bei einer Flucht unbedingt bräuchte: meine Steppdecke, Reisepapiere, die Rubinohrringe und Fanindra. Ren und Kishan füllten ihn mit Geld aus unterschiedlichen Ländern auf und legten eine Tasche mit Kleidung für sich in den Wagen. Sie parkten den Pick-up etwa eine Meile die Hauptstraße hinunter und bedeckten ihn zur Tarnung mit Ästen und Blättern.
Mein Amulett und Rens Armband mit dem Medaillon trug ich immer bei mir, aber ich machte mir Gedanken um Rens selbst geschnitzte Schatulle, die er mir zu Weihnachten geschenkt hatte. Er schlug vor, sie zur Sicherheit Mr. Kadam zu schicken. Am nächsten Tag verschifften wir ein Paket mit der Schatulle für meine Haarbänder und mehreren anderen unersetzbaren persönlichen Gegenständen nach Indien.
Die gedrückte Stimmung aufzuhellen, fiel uns immer schwerer, denn wir spürten alle, dass eine Bedrohung aufzog. Kishan gesellte sich nun zu unseren Filmeabenden und verputzte das ganze Popcorn, was Ren bis aufs Blut ärgerte. Die meisten Abende verbrachten wir zu Hause, und ich kochte für uns. Kishan aß doppelt so viel wie Ren, der selbst schon Unmengen verdrückte. Der Safeway-Lieferant glaubte wahrscheinlich, dass wir hier heimlich eine Pension führten bei dem Berg an Essen, das wir uns jede Woche liefern ließen.
An einem Samstag im März schlug ich einen Ausflug nach Tillamook und zum Strand vor. Das Wetter sollte ungewöhnlich warm und sonnig werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Wettervorhersage recht behielt, war zwar nicht besonders hoch, aber die Strände in Oregon waren wunderschön, selbst bei Regen. Und sobald ich Schoko-Erdnussbutter-Eis in Aussicht stellte, war Ren für meinen Vorschlag Feuer und Flamme.
Wir packten alle Zutaten für S’mores – Sandwiches be stehend aus Keksen, Marshmallows und Schokolade – sowie Wechselklamotten in den Kofferraum des Hummer. Ich fuhr nach Lincoln City und bog dann rechts auf den Highway 101, der sich entlang der Küste zog. Es war eine hübsche Spazierfahrt, und als ich die Fenster einen Spalt öffnete, reckten beide Tiger die Schnauzen in die Höhe, um den Geruch des Ozeans in sich
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