Pfad des Tigers - Eine unsterbliche Liebe: Roman (German Edition)
gewogen.
Vogel, Fledermaus, Kürbis, Sirenennest
Sei auf der Hut, bleib standhaft und fest.
Wende den Blick gen Himmel,
Wo eiserne Wächter fliegen.
Indien lege seine Kleider an,
Es möge erstarken und siegen.
»Hm«, überlegte ich laut. »Die ersten zwei Verse sind klar. Wir sollen einen weiteren Durga-Tempel aufsuchen. Das hatten wir uns sowieso schon gedacht. Und diesmal werden wir auch gleich die richtigen Opfergaben mitbringen.«
»Ja. Ich habe eine Liste von Durgas Tempeln in ganz Indien sowie den angrenzenden Ländern zusammengestellt.«
»Kishan, erinnere mich bitte, dass ich mein Fußkettchen mit den kleinen Glocken tragen muss.«
Mr. Kadam nickte und beugte sich über seine Notizen. Bei dem Gedanken, wann Ren mir das Fußkettchen geschenkt hatte, biss ich mir auf die Lippe. Er hatte mich angefleht, bei ihm zu bleiben, aber ich war abgereist.
Welch eine Verschwendung! Wäre ich nicht so dickköpfig und dumm gewesen, hätten wir all die Monate zusammen sein können. Ich hätte alles darum gegeben, die Zeit zurück zudrehen. Nun war er fort, verschleppt, und es war nicht auszuschließen, dass ich ihn nie mehr wiedersehen würde.
Ich versuchte, die trübsinnigen Gedanken zu verscheuchen, und konzentrierte mich auf Durgas Prophezeiung.
»Noes Berg? Das soll der Himalaja sein? Wie kommen Sie darauf?«
»Noe ist eine andere Schreibweise für Noah.«
»Hm, aber ist die Arche Noah nicht am Berg Ararat gestrandet?«
»Sie haben ein gutes Gedächtnis. Das habe ich anfangs auch gedacht, doch der Berg Ararat liegt in der heutigen Türkei, nicht in Indien. Dennoch war der Verbleib der Arche stets heftig umstritten.«
»Okay, aber was hat Sie auf den Himalaja gebracht?«
»Mehrere Dinge. Erstens: In der Prophezeiung heißt es, der Gegenstand wäre dem indischen Volk dienlich, deshalb glaube ich nicht, dass er sich auf einem anderen Kontinent verbirgt. Der zweite Grund hat mit der überlieferten Geschichte von Noe, oder Noah, zu tun. Die Bibel ist nicht die einzige Quelle, die von einer großen Flut erzählt. Im Grunde gibt es Dutzende Kulturen, in deren Mythen die Erde von einer riesigen Flutwelle heimgesucht wird. Ich habe lange geforscht und jeden Mythos in Bezug auf eine Flut nach Querverweisen durchforstet. Es gibt Deukalion und Pyrrha von Griechenland, die Große Flut von Gilgamesch, den Aztekengott Tapi und viele weitere Legenden. Eine Gemeinsamkeit verbindet sie alle: Sobald der Regen abklingt, werden die Menschen aufs rettende Festland gebracht. Mehrere Orte werden als Landeplatz vorgeschlagen, aber ich habe viele verwerfen können, da es dort keine Gletscher, kein ›eisiges Blau‹ gibt. Das Gebirge, das mir am ehesten zu passen scheint, ist …«
»Der Mount Everest.«
»Ja. Wenn man die Erzählungen wortwörtlich nimmt und davon ausgeht, dass die gesamte Erde geflutet wurde, wäre der Himalaja das Erste, was wieder zum Vorschein käme. Da der Himalaja ›den Himmel berührt‹, könnte man zu der Annahme verleitet sein, dass die zweite Gralssuche, auf die wir uns begeben, etwas mit Luft zu tun hat. Die Prophezeiung ist von Vögeln und anderen fliegenden Kreaturen durchdrungen, und der Gegenstand, den wir suchen, wird als ›luft’ger Lohn‹ bezeichnet.«
»Der Mount Everest? Kishan und ich müssen aber nicht …«
»Nein, nein. Den Mount Everest zu besteigen, ist bisher nur einer Handvoll mutiger Menschen gelungen. Das würde ich niemals von Ihnen verlangen. Nein, wir suchen einen Ort am Fuße des Himalaja, eine Stadt mit einem weisen Lehrer. Ich hatte gehofft, Sie könnten eine Liste aller möglichen Städte erstellen und vielleicht einen Ort finden, der mir entgangen ist.«
»Das klingt, als hätten Sie sich schon viele Gedanken gemacht.«
»In der Tat. Aber wie Sie ganz richtig bemerkt haben, ein zweites Paar Augen kann nie schaden.«
Mr. Kadam reichte mir eine Liste, die ich Stadt für Stadt durchging und auf der Karte markierte. Und tatsächlich, er hatte jede Stadt in einem Zweihundert-Meilen-Radius um den Mount Everest abgehakt. Der einzige Ort auf der Karte, der nicht auf der Liste stand, befand sich nördlich des Everest und war auf Chinesisch geschrieben.
»Mr. Kadam? Welche Stadt ist das?«, fragte ich und zeigte auf den Punkt.
»Das ist Lhasa. Es liegt in Tibet, nicht Indien.«
»Vielleicht wohnt der Lehrer auf der anderen Seite des Himalaja, aber der Gegenstand, den wir suchen, ist in Indien versteckt.«
Mr. Kadam erstarrte und stürzte dann aufgeregt los, um einen
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