Pfade der Sehnsucht: Roman (German Edition)
mochte sie eine seltsame Sehnsucht empfunden haben, er möge ihre Hand ewig halten, die jedoch gleichfalls nur eine Sekunde währte und gänzlich abwegig war. Erst recht heute Abend, als er kurz davor gewesen war, sie zu küssen, und sie für einen winzigen Augenblick gewünscht hatte, er täte es, musste sie einen Anfall von Irrsinn gehabt haben, den sie am besten sofort wieder vergaß.
Nein, Nathanial würde … nun, er würde ihr Partner bei der Suche nach dem Siegel sein, und danach nahmen sie beide wieder ihr Leben auf. Wie ihres aussähe, konnte sie nicht sagen, denn abgesehen von der Suche nach dem Siegel hatte sie noch keine Pläne. Ihr blieb reichlich Zeit, über ihre Zukunft nachzudenken, wenn Enricos Vermächtnis erst zurückgewonnen war. Bis dahin war das alles was zählte und was sie wollte.
In dem letzten Moment, ehe sie in Schlaf fiel und sich bereits jede Vernunft verabschiedet hatte, um den kommenden Träumen Raum zu geben, ging Gabriella ein komischer Gedanke durch den Kopf. Möglicherweise, ganz vielleicht war Nathanial Harrington alles, was sie sich jemals gewünscht hatte.
Fünftes Kapitel
Tatsächlich wartete ein Diener am nächsten Morgen auf sie, der Gabriella zum Frühstück geleitete. Sie fragte sich, ob er die ganze Nacht vor ihrem Zimmer gestanden hatte, verwarf es aber gleich wieder. Letztlich war es ihr gleich. Sie hatte nicht die Absicht, das Haus zu verlassen, und war letzte Nacht viel zu müde gewesen, um ihre Suche fortzusetzen.
Keine Minute nachdem sie aus dem Bett gestiegen war, erschien eine Zofe in ihrem Zimmer, die ein modisches Kleid und entsprechende Unterwäsche mitbrachte. Die Kleidung dürfte ebenfalls von Lady Regina sein. Die Zofe, eine junge Frau namens Edith, half Gabriella beim Ankleiden. Obwohl sie sichtlich neugierig war, wer die Fremde sein mochte, die mitten in der Nacht ein Gästezimmer bezogen hatte, war Edith offensichtlich zu gut ausgebildet, als dass sie Fragen stellte oder auch nur redete, ohne angesprochen worden zu sein. Und Gabriella hatte keine Lust, sich heute Morgen nochmals zu erklären.
Die Morgensonne flutete den eleganten Frühstückssalon. Es war schon halb zehn, viel später, als Gabriella gewöhnlich aufstand. Trotzdem war sie allein mit Ausnahme des Butlers – Andrews, sofern sie es recht erinnerte – und eines Hausmädchens, das ging, als Gabriella kam. Andrews füllte ihr eine Auswahl der Köstlichkeiten, die auf der Anrichte standen, auf einen Teller und stellte ihn ihr hin.
»Wünschen Sie sonst noch etwas, Miss?«, fragte der Butler, während er ihr Tee einschenkte.
»Nein, vielen Dank.« Gabriella blickte auf die gehäuften Delikatessen. Da waren Räucherfisch und Nierchen, Eier aus dem Wasserbad, Frühstücksspeck und Toast, und von allem viel mehr, als sie zu essen gewöhnt war. »Das ist alles, denke ich.«
»Sehr wohl, Miss.«
Kaum nahm sie einen Bissen von den Eiern, bemerkte sie, wie hungrig sie war. Gestern Abend war sie zu nervös gewesen, um etwas zu essen, und das hier schmeckte wunderbar. Sie hatte ihren halben Teller leergegessen, bis ihr auffiel, dass sie zu hastig aß. Obwohl sie ihre Vermögenssituation für sich behalten wollte, sollte doch niemand glauben, sie könnte sich nicht ernähren.
»Mr Andrews?« Sie sah zum Butler.
Er hatte seinen Posten neben der Salontür bezogen. »Nur Andrews, Miss.«
»Dann Andrews.« Sie nickte. »Ich schlafe selten so lange. Bin ich die Letzte, die zum Frühstück kam?«
»Nein, Miss.«
»Aha.« Anscheinend war er ebenfalls zu gut ausgebildet, als dass er Informationen enthüllte, nach denen niemand verlangte. »Wer ist noch heute Morgen hier?«
»Seine Lordschaft reitet jeden Morgen im Park aus. Heute hat ihn Master Nathanial begleitet.«
»Und Lady Wyldewood?«
»Sie war noch nicht unten.«
»Und die anderen?«
»Es war außergewöhnlich spät letzte Nacht, Miss.« Die Andeutung eines Vorwurfs war so vage, dass Gabriella sich auch täuschen könnte. »Weder Lady Regina noch Master Quinton sind bisher aufgestanden.«
»Ach so.« Gabriella strich sich Marmelade auf ein Stück Toast. »Werden sie bald zurück sein? Lord Wyldewood und sein Bruder, meine ich?«
»Das kann ich nicht sagen. Master Nathanial schlug allerdings vor, dass Sie vielleicht in der Bibliothek auf seine Rückkehr warten möchten. Die Sammlung enthält eine Vielzahl Bücher über frühere Kulturen, die Ihnen gefallen könnten, wie er sagte.« Der Butler räusperte sich. »Er bat mich außerdem,
Weitere Kostenlose Bücher