Pfade der Sehnsucht: Roman (German Edition)
sein.«
»Selbstverständlich«, beteuerte Gabriella übertrieben unschuldig.
Florence betrachtete sie skeptisch. »Der Zweck heiligt nicht jedes Mittel, Gabriella. Denk daran. Aber ich vermute, du wirst deinem Herzen folgen. So hast du es schon immer gehalten.«
»Und du hast mich stets ermutigt, es zu tun.«
»Ja, nun ja, das könnte ein weiterer Fehler meinerseits gewesen sein.« Sie umarmte Gabriella und ging zur Tür. Dort blieb sie stehen und drehte sich noch einmal um. »Ich sehe dich bald wieder, meine Liebe. Ach ja, und du solltest von dem jüngeren Mr Harrington tunlichst nicht mit Taufnamen sprechen.«
»Ich tat es schlicht, um die beiden Brüder zu unterscheiden«, verteidigte Gabriella sich. »Es hat keinerlei Bedeutung.«
»Nein?«
»Nein! Es bedeutet überhaupt nichts. Ich vertraue dem Mann nicht, und ganz gewiss mag ich ihn nicht. Zwangsläufig werde ich einige Zeit in seiner Gesellschaft verbringen, aber das …« Sie reckte ihr Kinn. »… das lässt sich nicht vermeiden.«
»Ein notwendiges Übel also?«
»Genau.«
»Ja, natürlich«, murmelte Florence. »Die sind immer die Schlimmsten.«
»Was meinst du?«
»Nichts weiter. Bis bald. Und ich erwarte deine Nachricht morgen.« Florence öffnete die Tür. »Mr Dennison, wie freundlich von Ihnen …« Dann schloss sich die Tür hinter ihr.
Das war überraschend. Alles. Angefangen mit Florences Wortgefecht mit Mr Dennison bis hin zu ihrer Erwähnung, einen eigenen Plan zu haben. Überhaupt hatten die letzten zwei Tage ihr jede Menge Überraschungen beschert.
Seufzend setzte Gabriella sich auf einen der Stühle. Nichts verlief wie erwartet. Lady Harrington war ausgesprochen freundlich. Der Earl war misstrauisch und recht verstockt, aber nicht unhöflich. Was seinen jüngsten Bruder betraf – Nathanial Harrington war die größte Überraschung von allen. Er entsprach ganz und gar nicht Gabriellas Erwartungen.
Ob das gut oder sehr, sehr schlecht war, konnte sie nicht sagen.
Sechstes Kapitel
»Was haben Sie mit Mr Dennison getan?«, fragte Nate beim Betreten der Bibliothek in einem schärferen Tonfall als beabsichtigt.
»Ich habe nichts mit Mr Dennison getan«, erwiderte Miss Montini kühl. Sie saß am Schreibtisch des Sekretärs, als gehörte er ihr, was Mr Dennison über die Maßen irritieren dürfte, Nate jedoch nicht allzu sehr verstören sollte.
»Jemand hat etwas mit ihm angestellt.« Nate zog die Brauen zusammen. »Er wirkt verwirrt und gedankenverloren.«
»Ach ja?« Miss Montinis Ton war beiläufig, während sie weiter Papiere durchsah, die sie vor sich ausgebreitet hatte. Offenbar handelte es sich um Briefe.
»Er ist gewöhnlich weder das eine noch das andere«, fuhr Nate fort. »Ich kenne Mr Dennison ausschließlich kompetent und gefasst. Und ich habe ihn noch nie im Mindesten verstört erlebt.«
»Jedes Ding hat seine Zeit«, sagte sie leise vor sich hin, ohne die Augen von den Papieren zu nehmen. Kein Zweifel, das mussten die Briefe ihres Bruders sein.
Sie ignorierte ihn, ja, das war es! Zwar antwortete sie auf das, was er sagte, doch nur mit knappen, beiläufigen Bemerkungen. Und mit Bibelzitaten auch noch! Nein, sie beachtete ihn überhaupt nicht. Was ausgesprochen ärgerlich war.
Zudem musste er gestehen, dass seine Stimmung schon vorher nicht die beste gewesen war. Und obgleich er nicht sagen konnte, inwieweit es ihr Verschulden sein konnte, denn er hatte sie heute noch gar nicht gesehen, war es das eindeutig. Eigentlich war ein morgendlicher Ausritt mit seinem ältesten Bruder im Park eine exzellente Art, den Tag zu beginnen, belebend und erfrischend. Nichts auf Erden war so grün und üppig wie England im Frühling, sogar hier in London. Heute hatte Sterling zahlreiche Fragen zur Legende von Ambropia und der jungfräulichen Schutzgöttin gehabt.
An sich hatte Nate es genossen, ihm das wenige zu erzählen, was man über die versunkene Stadt wusste. Leider wusste er auch, dass der Earl of Wyldewood in allem und jedem überaus gründlich war, sodass es nicht lange dauern würde, ehe er alles über Enrico Montini wissen wollte. Was wiederum zur Folge haben könnte, dass Miss Montini Dinge über ihren Bruder erfuhr, die sie vermutlich nicht wusste, sofern Nate sein Eindruck nicht täuschte. Und er hatte den abwegigen Wunsch, sie vor diesem Wissen zu schützen. Wie grotesk, bedachte man, dass er sie kaum kannte!
Er holte tief Luft und rang sich einen etwas freundlicheren Ton ab. Ungeachtet der Umstände war sie
Weitere Kostenlose Bücher