Pfade der Sehnsucht: Roman (German Edition)
neun Sprachen fließend beherrsche, unter anderem Koptisch, Persisch, Türkisch und Arabisch.«
Er starrte sie verblüfft an. »Niemand spricht Koptisch. Das ist ausgestorben.«
»Nicht ganz. In der koptischen Kirche wird es noch benutzt.«
»Sei es drum, wozu lernt man eine solche Sprache?«
»Weil sie der am nächsten kommt, die im alten Ägypten gesprochen wurde.«
»Ich nehme mal an, im rein akademischen Sinne würde das einen Sinn ergeben. Aber warum sollten Sie Türkisch, Arabisch und Persisch lernen? Die meisten Damen in meiner Bekanntschaft – selbst jene, die sich unterschiedlichsten Studien widmen – lernen Französisch, ein paar Italienisch oder auch Deutsch. Und selbst wenn man plant, weit zu reisen, reichen diese Sprachen vollkommen aus.«
»Ich dachte, wir wären uns bereits einig, dass ich nicht wie die meisten Damen Ihrer Bekanntschaft bin.«
»Dennoch erscheint es mir ungewöhnlich.«
»Ist es vielleicht.« Sie betrachtete ihn nachdenklich. Im Grunde konnte sie ihm ruhig von ihren Plänen erzählen, waren sie doch ohnedies hinfällig. Und für eine solche Enthüllung traute sie ihm allemal genug; vor allem vertraute sie darauf, dass er sie nicht auslachte. Also atmete sie tief ein und sagte: »Ich hatte gehofft, mir hinreichend Wissen anzueignen, um meinen Bruder in seiner Arbeit zu unterstützen, um unentbehrlich für ihn zu werden.«
»Aha.« Er nickte nachdenklich. »Ich würde sagen, das sind recht hochtrabende Ziele für eine Frau. Andererseits sind wir uns ja bereits einig, dass Sie nicht wie die meisten Frauen sind.« Er sah sie an. »Das also ist es, was Sie sich von Ihrem Leben wünschten?«
»Das tut jetzt nichts mehr zur Sache«, antwortete sie und wandte sich wieder zum Regal. Es ihm zu sagen, zwei Mal an einem Tag laut auszusprechen, was sie noch niemandem zuvor gestanden hatte, machte ihren Verlust umso spürbarer. »Außerdem bin ich nicht sicher, dass ich Enrico jemals hätte überreden können, mich mitzunehmen. Dennoch hatte ich gehofft, wenn ich genügend lernte, wenn ich Wichtiges zu seiner Arbeit beitragen könnte, nun, dann würde er mir gestatten, mit ihm zu reisen.«
»Die finsteren, abgelegenen Orte, an denen Ihr Bruder und wir anderen nach den Schätzen der Vergangenheit suchen, sind für Damen aus dem kultivierten Europa wenig geeignet«, sagte er vorsichtig, als wollte er sie auf keinen Fall verärgern.
»Ich weiß.«
»Aber es hat Sie nicht abgeschreckt?«
»Vermutlich klingt es albern. Ich weiß sehr wohl, wo dieser Tage der angemessene Platz einer Dame ist. Und doch reisen Frauen heute in der Welt herum und besuchen Orte, die nicht viel zivilisierter sind als die Regionen, in denen Sie sich bewegen. Zudem würde ich lieber als Expertin für Archäologie betrachtet werden, nicht bloß als schlichte Frau.«
Er lachte. »An Ihnen ist wahrlich nichts ›schlicht‹.«
»Wie dem auch sei, ich bin nicht so naiv zu glauben, dass ich als Frau allein irgendetwas ausrichten kann. Es scheint mir nicht fair, aber so ist die Welt nun einmal.« Auch ohne hinzusehen bemerkte sie, dass er aufgestanden und zu ihr gekommen war. »Folglich waren meine Studien, meine gesamte Ausbildung vergebens.«
»Es tut mir leid, Gabriella«, sagte er mit aufrichtigem Bedauern. »Ich kann mir vorstellen, wie es sein muss, etwas zu verlieren, für das man hart gearbeitet und das man sich von Herzen gewünscht hat.«
»Ja, ich wünschte es mir sehr.« Für einen Moment fühlte sie sich elend. Sie hatte den Kummer um ihren Bruder schon seit einer Weile verwunden. Nun trauerte sie um sich, um ihre Träume und Hoffnungen. Was lächerlich war, keine Frage. Ihre Träume hatten so oder so nie eine Chance, wahr zu werden. »Ich war närrisch zu glauben, dass sich mir diese Möglichkeiten jemals bieten würden.« Sie wandte sich zu ihm. Er stand nur eine Handbreit entfernt, und prompt schlug ihr Herz schneller. »Also, Nathanial, jetzt kennen Sie meine frivolen Ambitionen. Die so fiktiv sein dürften wie alles, was man in einem Roman liest, würde ich meinen. Mein … Geheimnis«, ergänzte sie seufzend und lächelte unsicher.
Er erwiderte ihr Lächeln, als würde er sie tatsächlich verstehen. In diesem Augenblick erkannte sie, was auch immer er sonst noch sein mochte, er war ein freundlicher Mann. Ein sehr netter Mann. Ein Mann, auf den man sich verlassen und dem man vielleicht trauen konnte.
Sie blickte in seine braunen Augen, und schlagartig veränderte sich etwas zwischen ihnen. Ohne
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