Pfade der Sehnsucht: Roman (German Edition)
Vorwarnung entstand eine seltsame Spannung zwischen ihnen, deren Intensität gleichermaßen unerwartet wie unwiderstehlich war.
Ein Mann, den man lieben könnte.
Er sah sie an. »Haben Sie viele Geheimnisse?«
Was dachte sie denn? Es kam ihr nicht zu, irgendeinen Mann zu lieben, schon gar nicht diesen. Rasch verdrängte sie den Gedanken und mühte sich, kühl zu klingen. »Ja, natürlich. Wir alle haben Geheimnisse.«
Er kam ein winziges Stück näher und stützte eine Hand links von Gabriellas Kopf am Regal ab. »Welche, die Sie mir verraten möchten?«
»Dann wären sie keine Geheimnisse mehr.« Ihr Blick wanderte von seinen Augen zu seinem Mund. Ihre Lippen waren nicht die einzigen, die darum flehten, geküsst zu werden. Aber sie hatte nicht vor, etwas Derartiges zu tun. »Ich fände es nicht schön, wenn Sie alles über mich wüssten. Wo bliebe da das Mysteriöse, die Spannung, die Herausforderung?«
»Ich schätze, die alle wären kein Problem«, raunte er.
Gabriella fühlte die Bücher auf den Regalen, die ihr in den Rücken drückten. Wieso sollte sie ihn eigentlich nicht küssen? Nur ein Mal. Was konnte es schaden? »Sie sind netter, als ich erwartet hätte.«
»Sehr schön.« Sein verwegenes Lächeln hätte ihr albern oder übertrieben oder zumindest arrogant vorkommen sollen, nicht bewirken, dass ihr der Atem stockte und ihre Knie nachgaben.
»Werden Sie mich küssen?«, fragte sie und schluckte.
»Ich denke schon, ja.«
»Es ist kein Mondschein da, Nathanial.«
»Eventuell verzichte ich auf diese Bedingung.«
»Eventuell?« Sie reckte ihm ihr Kinn entgegen.
»Ich scheine keine andere Wahl zu haben.« Er beugte sich näher.
»Sie sagten, ein erster Kuss sollte ausgekostet und für immer erinnert werden.«
»Ich werde mich immer an diesen erinnern.« Seine Lippen waren unmittelbar vor ihren.
»Nathanial?«, seufzte sie seinen Namen.
»Ja?«
Nun schlug Gabriella alle Vernunft in den Wind und streifte seine Lippen sacht mit ihren. »Ich auch.«
»Mmm.« Kaum legte sich sein Mund fester auf ihren, regte sich ein ungekanntes Verlangen in Gabriella.
»Ähm.« Jemand räusperte sich an der Tür. »Ich bitte um Verzeihung, Mylord.«
Achtes Kapitel
Teufel nochmal, sie kannte die Stimme!
Nathanial richtete sich widerwillig auf, warf Gabriella ein Lächeln zu und drehte sich zu dem Gast um. »Ja?«
Xerxes stand in der Tür, in derselben Livrée wie die anderen Bediensteten hier im Haushalt, und hielt ein Silbertablett mit einem Brief in der Hand. »Dies kam soeben für Miss Montini. Mir wurde gesagt, ich solle den Brief unverzüglich überbringen.«
»Ja, gut.« Nathanial nahm den Brief, blickte flüchtig darauf und reichte ihn Gabriella. »Sind Sie neu bei uns?«, fragte er Xerxes. »Mir war, als hätte John Farrell heute Morgen Dienst.«
»Ich habe seinen Dienst übernommen, Mylord«, sagte Xerxes ruhig.
Gabriella biss die Zähne zusammen.
»Es ist ihm hoffentlich nichts passiert.«
»Nein, Sir, er wurde wegen einer dringlichen Familienangelegenheit aufs Land gerufen.«
Eine Familienangelegenheit, pah! Gabriella sah ihn verärgert an. »Wurde er?«
Xerxes blickte zu ihr. »Ja, Miss.«
»Wie dringend?«, fragte sie.
»Gabriella, meine Liebe«, sagte Nathanial kopfschüttelnd. »Ich denke nicht, dass …«
»Es geht um seine jüngere Schwester, Miss. Mein Cousin fürchtet, sie könnte sich in Schwierigkeiten bringen und seine Hilfe benötigen«, erklärte Xerxes gelassen. »Womöglich seine Rettung.«
Gabriella verschränkte die Arme vor der Brust. »Ist sie noch ein Kind.«
»Trotz ihres bisweilen kindlichen Gebarens, nein, Miss. Sie ist erwachsen.«
»Dann ist sie gewiss in der Lage, sich selbst zu helfen«, sagte Gabriella.
Nathanial blickte verwundert zwischen ihr und dem älteren Mann hin und her. »Gabriella?«
»Gewiss kann sie, Miss. Andererseits hat sie ihre Kompetenz früher schon gelegentlich überschätzt.« Er kniff die Augen ein wenig zusammen. »Die ganze Familie ist in großer Sorge.« Dann wandte er sich wieder zu Nathanial. »Wäre sonst noch etwas, Sir?«
»Nein, danke.« Nathanial sah schmunzelnd zu Gabriella. »Es sei denn, Sie möchten noch etwas wissen.«
»Im Moment nicht«, murmelte sie.
»Dann dürfen Sie gehen«, sagte Nathanial.
Xerxes nickte und ging zur Tür.
»Ach, ich kenne Ihren Namen noch nicht«, fiel Nathanial ein.
»John Farrell, Sir.«
»Wie Ihr Cousin?«
Gabriella hatte Mühe, nicht verächtlich zu schnauben, was Nathanial
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