Pfand der Leidenschaft
die sich immer noch von der Reise nach Hampshire erholte, die Einladung mit Gleichgültigkeit quittierte. Leo freute sich diebisch auf ein üppiges Festmahl und ausgesuchte Weine.
Merripen hingegen weigerte sich standhaft, sie zu begleiten.
»Du bist ein Teil der Familie«, erklärte Amelia, die ihm dabei zusah, wie er die losen Bretter der Vertäfelung in einem der Salons festnagelte. Merripen führte den Zimmererhammer mit sicherem Geschick und schlug einen handgefertigten Nagel ins Holz. »Egal, wie sehr du jegliche Verbindung zu den Hathaways leugnen möchtest – wofür man dir nicht den geringsten Vorwurf machen könnte -, so bist du doch einer von uns und solltest mitkommen.«
Systematisch schlug Merripen weitere Nägel in die Wand. »Meine Anwesenheit ist nicht vonnöten.«
»Natürlich ist sie nicht zwingend vonnöten. Aber du könntest dich amüsieren.«
»Nein, das würde ich nicht«, erwiderte er im Brustton der Überzeugung und hämmerte ausdruckslos weiter.
»Warum musst du immer so sturköpfig sein? Wenn du dir Sorgen machst, respektlos behandelt zu werden, solltest du dir ins Gedächtnis rufen, dass Lord Westcliffs Haus bereits einen Roma beherbergt. Er scheint keine Vorurteile zu haben …«
»Ich mag keine Gadjos .«
»Meine ganze Familie – deine Familie – besteht ausnahmslos aus Gadjos . Willst du etwa behaupten, dass du uns alle nicht magst?«
Merripen gab keine Antwort, sondern setzte einfach seine Arbeit fort. Lautstark.
Amelia seufzte schwer. »Merripen, du bist ein fürchterlicher Snob. Und falls der Abend katastrophal verläuft, ist es deine Pflicht, ihn mit uns gemeinsam durchzustehen.«
Merripen schnappte sich eine Handvoll Nägel. »Das war ein netter Versuch«, lobte er. »Aber ich komme nicht mit.«
Die einfach gehaltenen Bäder im Ramsay House, die schlechte Beleuchtung und trübe Spiegel erschwerten die Vorbereitungen für ihren Besuch in Stony Cross Manor. Nach dem mühsamen Erhitzen des Wassers in der Küche schleppten die Hathaways die Eimer mit ihrem Badewasser eigenständig treppauf. Zumindest jeder außer Win, die auf ihrem Zimmer ruhte, um ihre Kräfte zu schonen.
Amelia saß ungewöhnlich still und ergeben da, während Poppy ihr die Haare frisierte, dicke Zöpfe flocht und sie zu einem kunstvollen Knoten am Oberkopf arrangierte. »Na also«, sagte Poppy begeistert. »Wenigstens von den Ohren aufwärts siehst du elegant aus.«
Wie die anderen Hathaway-Schwestern trug Amelia
ein schlichtes Abendkleid aus gerippter blauer Rohseide und Kammgarn. Der Schnitt war einfach gehalten mit einem leicht aufgebauschten Rock und langen, glatt anliegenden Ärmeln.
Poppys Kleid war fast eine Kopie von Amelias, nur rot. Die zweitjüngste Hathaway war ein ungewöhnlich hübsches Mädchen, und ihr Gesicht strahlte vor Lebhaftigkeit und Intelligenz. Hätte der gesellschaftliche Stand auf den inneren Werten und nicht dem Vermögen beruht, wäre Poppy der Stolz Londons gewesen. Stattdessen wohnte sie in einem heruntergekommenen Haus auf dem Land, trug alte Kleider und schleppte Wasser und Kohle wie eine Magd … Und hatte sich kein einziges Mal beschwert.
»Wir werden uns bald neue Kleider schneidern lassen«, versprach Amelia feierlich und spürte, wie sich ihr Herz vor heftigen Gewissensbissen zusammenzog. »Die Dinge werden sich bessern, Poppy.«
»Das hoffe ich«, erwiderte ihre Schwester unbekümmert. »Immerhin brauche ich ein prachtvolles Ballkleid, wenn ich mir schon einen reichen Wohltäter für die Familie angeln soll.«
»Du weißt, dass das nur ein Scherz war. Du sollst dich nicht nach einem reichen Verehrer umsehen. Nur nach jemandem, der nett zu dir ist.«
Poppy grinste. »Nun, dann können wir nur inständig hoffen, dass sich Reichtum und Nettigkeit nicht kategorisch ausschließen … nicht wahr?«
Amelia lächelte sie an. »Das stimmt.«
Als sich die Geschwister in der Eingangshalle versammelten, plagte Amelia beim Anblick von Beatrix ein noch schlechteres Gewissen. Ihre Schwester trug ein grünes Kleid mit Unterröcken, die nur bis zu den
Fesseln reichten, und darüber ein gestärktes weißes Schürzenkleid, das zu einem zwölfjährigen Mädchen, nicht jedoch zu einer fünfzehnjährigen jungen Frau passte.
Amelia bahnte sich einen Weg zu Leo und flüsterte ihm ins Ohr: »Kein Glücksspiel mehr, Leo. Das Geld, das du im Jenners verloren hast, hätte man viel besser in anständige Kleider für deine jüngeren Schwestern investieren können.«
»Wir haben
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