Pfand der Leidenschaft
das zertrampelte Grün, während sich die letzten schwachen Sonnenstrahlen über den Horizont quälten. Fackeln und Lampen wurden bereits in Erwartung der Abenddämmerung entzündet.
»Diese hier«, sagte Rohan und umfasste ihr linkes Handgelenk.
Verlegen versuchte Amelia, die Hand zur Faust zu ballen. Sie hätte Handschuhe tragen müssen, aber ihr bestes Paar hatte einen Fleck, ihr zweitbestes ein Loch in einer der Kuppen, und sie hatte noch nicht
die Zeit gefunden, neue zu kaufen. Zu allem Übel verunstaltete eine Kruste ihren Daumen, den sie sich an einem verrosteten Kübel geschnitten hatte, und sie hatte sich die Fingernägel zu kurz geschnitten, nachdem sie bei der Arbeit abgebrochen waren. Es war die Hand einer Magd, nicht die einer Dame. Für einen wehmütigen Augenblick wünschte sie, sie hätte Hände wie Win, deren Finger blass, lang und zierlich waren.
Rohan starrte zu ihr herab. Als Amelia sich aus seinem Griff wand, schloss er seine Hand noch fester um ihre. »Wartet«, hörte sie ihn sagen.
Seine ruhige Stimme schien ihr Innerstes zu berühren. »Hier.« Mit der Fingerspitze strich er über eine horizontale Linie ihres kleinen Fingers. »Nur eine Heirat. Die wird jedoch lange halten. Und diese …« Er fuhr drei kleine senkrechte Einkerbungen nach, die die Hochzeitslinie trafen. »Zwei Mädchen und ein Junge. Elizabeth, Jane und … Ignatius.«
Sie konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. »Ignatius?«
»Nach seinem Vater«, erklärte er ernst. »Einem sehr angesehenen Bienenzüchter.«
Das neckende Funkeln in seinen Augen ließ ihren Puls in die Höhe schnellen. Sie nahm seine Hand und begutachtete seine Innenfläche. »Lasst mich Eure sehen.«
Rohans Hand lag entspannt in ihrer, und dennoch spürte sie die Kraft, die von ihr ausging, das kaum merkliche Anspannen der Muskeln unter der sonnengebräunten Haut. Seine Finger waren gepflegt, die Nägel penibel sauber und kurzgeschnitten. Auch Merripen war immer wie aus dem Ei gepellt, und
Amelias Familie hatte sich anfangs über seine schrullige Eigenheit amüsiert, dass er sich lieber mit fließendem Wasser wusch, als in einer Badewanne zu liegen.
»Eure Hochzeitslinie ist sogar noch ausgeprägter als meine«, sagte Amelia.
Er nickte einmal, doch sein Blick blieb starr auf sie gerichtet.
»Und Ihr werdet ebenfalls drei Kinder haben … oder sind das etwa vier?« Sie berührte eine winzige Linie ganz am Rand seines Fingers.
»Nur drei. Die Linie außen bedeutet, dass ich nur eine sehr kurze Verlobungszeit haben werde.«
»Wahrscheinlich werdet Ihr vom Gewehrkolben eines erbosten Vaters zum Altar geschubst.«
Er grinste. »Nur wenn ich meine Verlobte aus ihrem Schlafgemach entführe.«
Sie beäugte ihn. »Ich kann mir Euch schlecht als Ehemann vorstellen. Ihr scheint ein Einzelgänger zu sein.«
»Überhaupt nicht. Ich werde meine Frau überallhin mitnehmen.« Seine Finger spielten scheinbar gedankenverloren mit ihrem Daumen. »Wir fahren in einem Vardo von einem Ende der Welt zum anderen. Ich stecke ihr Goldringe an die Finger und Zehen und schmücke ihre Fußknöchel mit Kettchen. Nachts wasche ich ihr das Haar und kämme es am Lagerfeuer trocken. Und ich küsse sie jeden Morgen wach.«
Amelia wich seinem Blick aus. Ihre Wangen waren tiefrot angelaufen und brannten. Sie wich einen Schritt zur Seite, musste sich unbedingt bewegen, irgendetwas tun, um die erschreckende Intimität des
Augenblicks zu zerstören. Er folgte ihr, und gemeinsam überquerten sie die Dorfwiese.
»Mr. Rohan … warum habt Ihr Euer Volk verlassen?«
»Das weiß ich bis heute nicht so recht.«
Sie sah ihn überrascht an.
»Ich war zehn Jahre alt«, erklärte er. »So weit ich mich erinnern kann, bin ich bis zu jenem Zeitpunkt im Vardo meiner Großeltern herumgereist. Ich habe meine Eltern nie kennengelernt – meine Mutter ist bei meiner Geburt gestorben, und mein Vater war ein irischer Gadjo . Seine Familie hat seine Ehe nie akzeptiert und ihn überzeugt, meine Mutter im Stich zu lassen. Vermutlich wusste er nicht einmal, dass sie schwanger war.«
»Hat denn niemand versucht, ihn ausfindig zu machen?«
»Das weiß ich nicht. Vielleicht haben sie gedacht, dass es nichts ändern würde. Laut meiner Großeltern war er ein Jüngling …« Er bedachte Amelia mit einem spitzbübischen Lächeln. »… Und selbst für einen Gadjo unreif. Eines Tages hat mir meine Großmutter ein frisches Hemd angezogen und mir erzählt, dass ich die Sippe verlassen muss. Sie sagte, ich
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