Pfand der Leidenschaft
Rasiermesser.«
Er schwieg eine Weile, als habe ihn ihre Antwort überrascht, und brach dann in ein erstauntes Lachen aus. »Das mittelalterliche Wissenschaftsprinzip?«
»Ja. Wenn man eine Theorie formuliert, muss man so viele Annahmen wie möglich ausschließen. In anderen Worten, die einfachste Erklärung ist die wahrscheinlichste.«
»Und das ist der Grund, weshalb Ihr weder an Magie, das Schicksal oder an Wiedergeburt glaubt? Weil sie, theoretisch gesprochen, zu kompliziert sind?«
»Ja.«
»Woher wisst Ihr von Ockhams Rasiermesser?«
»Mein Vater war ein Gelehrter des Mittelalters.« Sie erbebte, als sie seine Hand spürte, die sanft an ihrem Hals entlangstrich. »Manchmal haben wir die Handschriften gemeinsam gelesen.«
Rohan löste den Drahthenkel der magischen Laterne von Amelias zitternden Fingern und stellte sie neben ihre Füße. »Hat er Euch auch gelehrt, dass die komplizierten Erklärungen manchmal dem Kern des Problems näherkommen als die einfachen?«
Amelia schüttelte den Kopf und war unfähig zu sprechen, als er ihre Schultern nahm und sie mit äußerster Sanftmut an sich drückte. Ihr Puls begann zu rasen. Sie durfte ihm nicht erlauben, sie so zu halten. Jeder, der genauso wie sie in den Schatten versteckt war, könnte sie sehen. Doch als ihre Muskeln die warme Berührung seines Körpers spürten, schwirrte ihr der Kopf vor köstlichem Verlangen, und sie sorgte sich nicht länger um irgendjemanden oder irgendetwas außerhalb seiner starken Arme.
Rohans Fingerspitzen glitten zärtlich über ihre Kehle, hinter ihr Ohr und vergruben sich in ihrem seidigweichen Haar. »Ihr seid eine eindrucksvolle Frau, Amelia.«
Sein heißer Atem verursachte ihr Gänsehaut. »Ich kann mir … beim … beim besten Willen nicht vorstellen, wie Ihr auf so etwas kommt.«
Sein schelmischer Mund fuhr den Schwung ihrer Augenbraue nach. »Ich finde Euch zutiefst interessant. Ich will Euch wie ein Buch öffnen und jede Seite lesen.« Ein Lächeln kräuselte seine Lippen, während er heiser hinzufügte: »Fußnoten eingeschlossen.« Als er bemerkte, wie verspannt ihre Nackenmuskulatur
war, massierte er die Verkrampfung mit sanften Händen fort. »Ich will Euch. Ich will mit Euch unter den Sternen und Wolken und Bäumen liegen.«
Bevor sie eine Antwort geben konnte, bedeckte er ihren Mund bereits mit seinem. Eine plötzliche Hitzewelle umspülte Amelia, ihr Blut kochte, und sie konnte ihre Reaktion auf seine Worte ebenso wenig zurückhalten, wie es ihr gelungen wäre, ihr Herz nicht mehr schlagen zu lassen. Sie griff mit beiden Händen in sein Haar, und die wunderschönen ebenholzfarbenen Locken kringelten sich um ihre Finger. Als sie sein Ohr liebkoste, berührte sie seinen glitzernden Ohrstecker, spielte sanft damit und folgte dann der glatten, samtenen Haut den Hals hinab bis zu Rohans Kragen. Sein Atem ging keuchender, als er sie nun fordernder küsste, und seine seidene Zunge immer tiefer in sie eintauchte.
Das weiße Mondlicht drang durch die Äste der Buche, zeichnete den Umriss von Rohans Kopf nach und versah Amelias Haut mit einem überirdischen Glitzern. Die eine Hand stützend um ihre Taille geschlungen, mit der anderen ihr Gesicht umfassend, flüsterte er ihr zärtliche Worte ins Ohr. Sein Atem war heiß und süß vom Wein.
Da durchschnitt eine barsche Stimme die feuchte Dunkelheit. »Amelia!«
Es war Christopher Frost, der wenige Meter von ihnen entfernt stand. Reglos und streitlustig bedachte er Cam Rohan mit einem langen, unnachgiebigen Blick. »Macht aus ihr nicht das Gespött der Leute. Sie ist eine Dame und verdient es, wie eine solche behandelt zu werden.«
Amelia spürte, wie sich Rohans Körper anspannte.
»Von Euch brauche ich am allerwenigsten einen Rat, wie ich sie zu behandeln habe«, erwiderte er leise.
»Ihr wisst genau, wie es ihrem Ruf schaden würde, wenn man sie mit Euch zusammen sähe.«
Es war offensichtlich, dass die Auseinandersetzung ein böses Ende nehmen würde, hätte Amelia nicht sofort gehandelt. Sie entwand sich Rohans Umarmung. »Das ziemt sich nicht«, sagte sie bestimmt. »Ich muss zu meiner Familie zurück.«
»Ich werde dich begleiten«, schlug Frost vor.
Rohans Augen blitzten gefährlich auf. »Ihr werdet den Teufel tun!«
»Bitte.« Amelia streckte den Arm aus und berührte mit kühlen Fingern Rohans Lippen. »Ich denke … es ist besser, wenn sich unsere Wege hier trennen. Ich sollte mit ihm gehen. Es gibt ungesagte Dinge zwischen uns, die wir besprechen
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