Pfarrers Kinder Muellers Vieh
so daß wir schließlich annahmen, der selige Schlossermeister von Anno 1850 habe ihn mit dem Schloß zusammen aus einem Stück Eisen gearbeitet. Vielleicht sollte er ein Zierat sein, vielleicht aber auch nur ein heimtückischer Stachel zum Zerreißen der Schürzen und Kleider von Pfarrfrauen.
Es war auch nicht nötig, diese Hintertür durch einen Schlüssel zu verschließen, denn sie klemmte zu jeder Jahreszeit. Im Sommer war sie durch die Hitze verzogen. Im Frühling und Herbst durch die Nässe, und im Winter durch die Kälte. Wie und an welcher Stelle auch immer Manfred dieser permanenten Verklemmung zu Leibe rückte, die Tür war in keinen Normalzustand zu bringen. Feilte er oben ein Stückchen weg, dann senkte sie sich in der Nacht heimtückisch nach unten, so daß ich mich und Manfred am nächsten Tag fragen mußte, wie denn ein denkender Mensch eine Tür, die so offensichtlich unten klemmte, oben abfeilen konnte? Tat man ihr Gutes und ölte die alten rostigen Scharniere und das Schloß, so stieß sie das Öl boshaft von sich und lohnte alle diesbezügliche Mühe mit großen Fettflecken auf dem Boden und mit einer öligen Klinke.
Es war eine abartig veranlagte Tür, die weder berührt noch bewegt werden wollte. Am liebsten stand sie weit offen oder blieb fest geschlossen. Suchten wir sie aus diesen Ruhezuständen zu bringen, reagierte sie mit fast menschlicher Hinterlist. Beim ersten Versuch, sie sanft von innen aufzuziehen, rührte sie sich nicht von der Stelle. Erst nach heftigem Ziehen und Zerren öffnete sie sich unmutig knarrend einen Spalt breit. Stemmten wir nun aber unsere Füße in den Boden und boten unsere ganze Kraft auf, um sie mit einem Ruck zu bezwingen, dann flog sie mitunter weit auf, schlug uns heftig an die Nase, rammte den Schlüssel zwischen unsere Rippen und warf uns gegen die hintere Wand, so daß wir dort unsanft mit dem Kopf aufschlugen. All dies begleitete sie mit hysterischem Quietschen.
Das Öffnen von außen war nicht weniger schwierig. Bei einem ersten zarten Herunterdrücken der Klinke und gleichzeitigem Drücken gegen die Tür zeigte sich keine Reaktion. Stemmten wir uns gegen sie und drückten aus Leibeskräften, so wich sie widerwillig um Millimeterbreite nach innen, klemmte dann aber wieder fest. Packte uns endlich der Zorn, so daß wir einen Anlauf nahmen und uns in voller Wucht gegen die Widerspenstige warfen, so flog sie weit auf und bot uns freien Raum, wie abgeschossene Raketen ins Haus zu zischen und uns an den drei Stufen, die aufwärts zur großen Diele führten, die Nasen blutig zu stoßen.
Beim Schließen der Tür erlitten wir zwar anfangs noch schwere Verletzungen an den Händen, doch schon nach einigen Wochen durchschauten wir die feindliche Taktik und lernten, uns zu schützen.
So hatten wir bald erkannt, daß die Tür sich niemals von innen ins Schloß drücken oder von außen hinein zerren ließ. Sie klemmte und blieb einen Spalt breit offen stehen. Sobald aber einer von uns seine Hand oder auch nur einen Finger in die Türöffnung legte, vielleicht, um zu erfühlen, wo es denn klemme, dann schlug sie zu, als hätte eine Sturmbö sie erfaßt.
Sie hatte offensichtlich einen ähnlichen Tick wie die beiden Felsen, denen Odysseus auf seinen Irrfahrten begegnete. Diese Meeresfelsen, sonst friedlich voneinander getrennt, konnten kein lebendes Wesen zwischen sich erdulden. Geriet ein Unglückswurm in diese absonderliche Zweierbeziehung, so schwammen die beiden Kolosse eilends aufeinander zu und zermalmten den Störenfried. Dann trennten sie sich wieder voneinander und schwammen ihrer Wege. Ähnlich, und wie mir scheint besonders abartig, reagierte unsere Tür, deren Sinn und Zweck es ja eigentlich sein sollte, Menschen aus und ein zu lassen. Sie konnte keine tastenden Finger und keine streichelnden Hände an ihrer Türöffnung ertragen. Dann schlug sie zu, um das zu vernichten, was ihr doch eigentlich nur wohl tun wollte. Sie benahm sich wie eine prüde alte Jungfer. Vielleicht war sie aber auch nur kitzlig. Die großen Schmerzen an gequetschten Fingerspitzen und gebrochenen Handknochen lehrten uns mit der Zeit, blitzschnell und präzise zu reagieren. Manchmal entkam ein Finger zwar nur um Haaresbreite, aber wirklich ernste Verletzungen entstanden nur noch, wenn wir nicht recht auf der Höhe waren oder aber die gefährliche Verklemmung der Tür unterschätzten.
Sie war nicht so schön und wohlproportioniert wie die Vordertür. Klein, gedrungen, aus unedlem, wenn
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