Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Pfarrers Kinder Muellers Vieh

Pfarrers Kinder Muellers Vieh

Titel: Pfarrers Kinder Muellers Vieh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amei Müller
Vom Netzwerk:
Lärmbelästigung schwer geschädigt worden. Das Räumle bot etwa vierzig Personen Platz. Es war mit zusammenklappbaren Tischen und unbequemen Stühlen ausgestattet, außerdem verbrachte ein uraltes Harmonium dort seinen Lebensabend.
    Nach jeder Gemeindeveranstaltung roch das Räumle nach Stall und Mief, so daß wir alle Fenster aufsperrten und über Nacht offen ließen. Wir hegten im Stillen die Hoffnung, jemand werde das Harmonium stehlen. Es blieb uns erhalten, dafür drangen die Dorfkatzen ins Räumle ein und lärmten noch mehr als die Gemeinde, worauf wir sie zornig vertrieben und die Fenster im Räumle schlossen.
    Links vom Eingang lag die Tür zur Registratur. In diesem Raum moderten fünf alte Schränke vor sich hin. In stillen Nächten konnte man den Holzwurm ticken und den Staub rieseln hören. Es waren keine richtigen Aktenschränke, sondern besonders häßliche Schenkungen aus Privatbesitz. Dankbare Gemeindeglieder hatten sie dem Pfarramt vermacht in der berechtigten Hoffnung, auf diese Weise die Kosten für die Sperrmüllabfuhr zu sparen.
    Vermutlich hatte die jeweilige Pfarrfrau die Anfuhr des Möbelstückes vom Fenster aus beobachtet, war entsetzt hinuntergestürzt und hatte mit allen möglichen Schrecknissen wie Scheidung, Auszug oder Hungerstreik gedroht, falls dieses Ärgernis weiter als bis zur Registratur ins Haus käme. So landeten alle fünf Schränke in eben diesem Zimmer. Jeder Schrank stammte aus einer anderen Epoche, und doch boten sie durch ihre gemeinsame Häßlichkeit ein einheitliches Bild. Man tat gut daran, diese Kolosse in Ruhe zu lassen.
    Das wurde mir klar, nachdem ich mit unendlicher Mühe den ersten Schrank zur Seite gezerrt hatte, um darunter aufzuputzen. Er rutschte von den geschweiften Füßen und brach in die Knie wie eine verwundete Elefantenkuh. Nach langen vergeblichen Versuchen, den gefallenen Schrank wieder aufzurichten, schloß ich die Registratur ab und begab mich in die Küche.
    Dort verbrachte ich drei Stunden in rastloser Tätigkeit. Ich stellte Maultaschen her, ein besonders arbeitsreiches, aber von Manfred sehr geliebtes Gericht. Er kam spät aus dem Religionsunterricht.
    »Was?« rief er erfreut, »Maultaschen am hellen Werktag! Ist irgendwas los?«
    »Nein«, sagte ich, »ich wollte dir bloß eine Freude machen. Du bist doch sicher völlig erledigt nach dem Religionsunterricht.«
    »Ja, weiß Gott, ich bin erschöpft, aber nun fühle ich mich wie neu geboren. Was für eine Freude!«
    Ich servierte ihm die Maultaschen in der Brühe und geschmälzt mit Salat. Er aß mit gutem Appetit, ich hatte keinen Hunger.
    »Was ist?« fragte er, »warum ißt du nichts?«
    »Ich bin auch erschöpft«, sagte ich, »die Registratur war entsetzlich dreckig, ich habe sie geputzt.«
    »Und dann machst du mir auch noch Maultaschen, das ist wirklich nett von dir. Weißt du, heute nachmittag habe ich nicht viel vor, wir gehen in die Stadt und trinken Kaffee.«
    »Nein, nicht in die Stadt«, sagte ich und rührte in der Brühe, »vielleicht könnten wir in die Registratur gehen.« Er legte den Löffel nieder und sah mich aufmerksam an. »Was ist passiert?«
    »Ein Schrank ist umgefallen, fast von alleine.«
    »Hab ich mir’s doch gedacht«, sagte er grimmig und ging auch gleich mit mir hinunter.
    Es wurde ein interessanter Nachmittag. Wir räumten die staubigen Kirchenbücher aus den Fächern und entdeckten dabei Eintragungen, die schon über hundert Jahre alt waren. Da gab es Tauf-, Trauungs- und Sterberegister, von den verschiedenen Pfarrern handschriftlich eingetragen. Verschnörkelte Buchstaben, liebevoll hingemalt, folgten auf krakelig steile Schriftzüge, die so ungeduldig auf das Papier gekratzt waren, daß Tintenspritzer das Blatt blau garniert hatten. Wir lasen bei einem Familienvater von zehn Kindern, daß er Räuber gewesen sei und nach einem harten Leben »gehenkt« worden wäre. Manche Jungfrau brachte fünf Kinder in die Ehe ein, eine Frau war viermal Witwe geworden. Viele Eheleute hatten ihr Möglichstes getan, das Dorf mit Nachkommenschaft zu bevölkern.
    Als es dunkelte und die ersten eifrigen Sänger zum Kirchenchor anrückten, hatten wir den Schrank geleert und wollten ihn nun auf die Füße stellen. Er hatte aber durch das Ausräumen so wenig an Gewicht verloren, daß wir nur mit Hilfe der starken Männer aus dem Chor unser Werk vollenden konnten. Einem der Herren fuhr es dabei ins Kreuz, sein Stöhnen untermalte die ganze Chorprobe.
    »Daß du dich unterstehst,

Weitere Kostenlose Bücher