Pfarrers Kinder Muellers Vieh
auch festem Holz, mochte sie wohl unter Komplexen leiden, soweit das bei Türen möglich ist. Wäre uns ein Türenpsychiater bekannt gewesen, wir hätten sie aus den Angeln gehoben und zu ihm auf die Couch getragen. So aber konnten wir ihr nicht helfen und litten trotz allen Verständnisses sehr unter ihren Launen.
Bald bröckelte der Kalk von den Wänden des kleinen Vorraums. Die ständigen Erschütterungen, das Auf- und Zuknallen der Tür, brachten der Decke große Risse ein. Jeden Abend fegte ich den Kalk vom Boden, und jedes Mal bekam die Tür dabei einen wohlgezielten Fußtritt.
Ein einziges Mal reagierte sie normal. Das war, als wir, zermürbt von den wochenlangen Kämpfen mit geschwollenen Nasen und verbeulten Köpfen, beim Bauamt anriefen und weinend um eine neue Tür flehten. Der Bauamtmann kam. Er wollte selber sehen, was es mit dieser Tür auf sich habe. Nun, er war unser Freund nicht. Einen Schlag auf seinen Hinterkopf, einen scharfen Stoß gegen seine Nase würden wir als Gottesurteil hinnehmen. Trotzdem warnten wir ihn, als er forsch die Treppe hinunterschritt, um die Tür erst einmal von innen zu öffnen. Er legte seine Hand sanft auf die Klinke, drückte und zog. Siehe da, sie öffnete sich leicht und willig, klemmte und quietschte nicht. Sie folgte den Bewegungen des Bauamtmannes, der sie mehrfach öffnete und schloß und uns dabei triumphierend musterte.
»Sie müssen es unbedingt noch von außen probieren!«
Er tat’s. Die Tür öffnete sich weit und einladend.
Dieser Bauamtmann war nicht besonders attraktiv. Er hatte eine Glatze, war klein und dick und schielte, aber uns erschien er wie ein überirdisches Wesen. Er aber strebte seinem Auto zu und sagte, er hätte noch wichtigere Dinge zu tun. Wir sollten nicht glauben, daß wir mit faulen Tricks zu einer neuen Tür kämen. Wir baten ihn händeringend, noch einen Moment zu bleiben und mit anzusehen, wie die Tür sich bei uns benähme. Gut, sagte er, er wolle fair sein, aber wir sollten uns bitte beeilen.
Manfred kam zuerst an die Reihe. Er nahm die Klinke wie jeden Morgen, er drückte, zog, und das Wunder geschah, die Türe öffnete sich. Kopfschüttelnd setzte er sich auf die Treppe. Ich packte das Biest nach alter Art und riß an der Klinke. Es kam zu keinem Fall und keinem Nasenstüber. Die Tür folgte mir und hielt mich trotzdem mit sanftem Druck zurück, als wolle sie verhindern, daß ich mich an der Wand Stöße.
Ich setzte mich neben Manfred auf die Treppe und wackelte wie er ungläubig lächelnd mit dem Kopf. Der Amtmann schaute mitleidig zu uns herunter.
»Das Dorf liegt sehr abgeschieden«, sagte er, »manche Menschen können das schwer ertragen. Ich weiß da einen Arzt, sie sollten ihn unbedingt konsultieren!«
Er half uns auf die Beine und klopfte mir zart auf die Schulter. »Kopf hoch!« sagte er, »es kann alles noch gut werden.«
Wir brachten ihn zum Auto, empfingen die Adresse des Arztes und sahen mit glasigen Augen zu, wie dieser unansehnliche Übermensch in seinen Volkswagen stieg, viel zu viel Gas gab und davonfuhr. Dann wandten wir uns zurück zum Haus. Die vordere Tür war zugefallen, wir hatten keinen Schlüssel dabei. Also schleppten wir uns mit bösen Ahnungen zum Hintereingang. Irgendwie mußten wir ja ins Haus. Erst versuchte Manfred es nach Art des Amtmannes, liebevoll und herrisch, dann tat ich’s nach Art des Hauses, zornig und ängstlich. Die Türe bewegte sich nicht. Da sahen wir rot. Wir nahmen einen Anlauf und warfen uns gegen sie. Der Anprall war so gewaltig, daß wir erst am Abend wieder das Bewußtsein erlangten. Wir lagen im Garten vor der geschlossenen Tür mit blutenden Nasen, brummenden Köpfen und zitternden Knien. Zum Glück war das Waschküchenfenster offen, so daß wir in unser Haus einsteigen konnten.
Doch überlassen wir die mißratene Hintertür nun ihren krankhaften Launen und wenden wir uns dem Haupteingang zu. Auch von hier kam man nicht direkt in die Diele, sondern erst in einen schmalen Flur. Rechts und links befanden sich Türen.
Die Tür zur Rechten führte in den Gemeinderaum, auch kurz »das Räumle« genannt. Hier herrschte allabendlich reges Leben. Der Kirchenchor sang, der Posaunenchor blies, diejugend spielte Tischtennis, der Kirchengemeinderat tagte, ich hielt Frauen- und Mädchenkreis, und im Winter wurden noch Bibelstunden und Missionsabende abgehalten.
Hier traf sich die Gemeinde. Und hätten wir nicht immer dabei sein müssen, wir wären von der dauernden
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