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Pfarrers Kinder Muellers Vieh

Pfarrers Kinder Muellers Vieh

Titel: Pfarrers Kinder Muellers Vieh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amei Müller
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und die dicksten Krautköpfe. Sie legte die Himbeerhecke unter der Linde an. Als wir uns daran machten, die alten Stöcke auszugraben, ging ein Schrei der Entrüstung durch das Dorf. Die Mesnerin stürzte herbei und stellte sich schützend vor die Hecke. »Des dürfet er fei net do!« jammerte sie, »die hat d’ Frau Pfarrer Weibel pflanzt!«
    Diese Vorgängerin kam mindestens zweimal im Jahr und machte Besüchle in »ihrem« Dorf. Eine kleine, weißhaarige Frau mit einer großen Reisetasche. Sie ging von Haus zu Haus, und Herzen, Würste und Eier flogen ihr entgegen. Die Reisetasche war prallvoll, wenn sie abends noch bei uns hereinschaute. Offensichtlich lohnte es sich, eine Pfarrfrau nach dem Bild der Gemeinde zu sein.
    Aber nicht nur die Herzen aller Frommen schlugen für sie, nein, auch die Augen ruhten mit Wohlgefallen auf dieser würdigen Vertreterin ihres Standes. Wie sie wieder angezogen war! Schlicht, »oifach« und doch adrett. Grad so, wie man es gerne sieht bei einer rechten Pfarrfrau. Sie kannte die Bekleidungswünsche des Dorfes und richtete sich danach. Diese Wünsche oder Vorschriften lauteten etwa folgendermaßen:
    Eine Pfarrfrau glänzt nicht mit äußerem Prunk, sie wirkt durch innere Werte! Also trägt sie saubere Kleidung, unauffällig im Schnitt und gedeckt in der Farbe. Weiß ist außer ihrem Herzen nur der Kragen und die Schürze. Spitzen und modischen Tand lehnt sie ab. Die Bekleidung des Oberkörpers dient ausschließlich zur Verhüllung der weiblichen Geschlechtsmerkmale. Sie bevorzugt deshalb schlecht sitzende oder nicht formende BHs, zieht darüber wärmende Unterleibchen und flauschige Unterröcke.
    Der sichtbare Teil der Garderobe umspielt bauschig die Büste, liegt nirgendwo stramm an und besteht aus derbem, keineswegs durchsichtigem Stoff.
    Der Bekleidung unterhalb des Gürtels fehlt jede pikante Note. Langbeinige Makko- oder Strickschlüpfer schützen vor Blasen- und Nierenleiden in kalten Pfarrhäusern. Der Rock, gedämpft in der Farbe, gekräuselt in der Taille, fällt weit über die Knie und wirkt zeitlos, weil nicht der Mode unterworfen.
    Die pfarrfraulichen Beine stecken in dicken Strümpfen, die Füße in derbem Schuhwerk.
    Das Haupt aber ziert ein Knoten, auch Glaubensfrucht oder Hallelujazwiebel genannt. Widerspenstige Löckchen werden glatt gebürstet oder mit Haarspangen festgeklemmt.
    Die ganze äußere Erscheinung der Pfarrfrau strahlt Reinheit und Ruhe aus, eine würdige Verpackung des vielversprechenden Inhalts. Wobei unter Inhalt selbstverständlich die Seele zu verstehen ist!
    Solchermaßen verpackt, wandelte die Vorvorgängerin durch die Straßen, und jedes fromme Auge folgte ihr mit Wohlgefallen. Nicht so bei meiner direkten Vorgängerin. Mit fünf Kindern, Haus und Garten hatte sie an anderes zu denken, als an ihre äußere Erscheinung. Enttäuscht schlug man die Augen nieder, wenn sie durch das Dorf lief, abgehetzt und verstrubbelt wie jede andere Frau auch. Ich aber war eine rechte Augenweide für die Gemeinde, jedenfalls zu Anfang. Die Brille auf der Nase, den Knoten am Hinterhaupt, so hielt ich in Weiden Einzug. Um dem Knoten mehr Fülle zu verleihen, schlang ich die Haare um eine »Prothese«. Es sah sehr brav und haarreich aus. Mit den Löckchen verfuhr ich so, wie es dem Wunsch der Frommen entsprach.
    »Mensch, Mulchen«, sagen meine Söhne heute, wenn sie die Bilder von früher betrachten, »du hast vielleicht ausgesehen damals. Ein Wunder, daß dich der Vati behalten hat!« Behalten hat! Ihm zuliebe hatte ich die Haare ja wachsen lassen! Der »Bubikopf« war mir lieber gewesen. Mühsam genug hatte ich ihn meinen Eltern abgetrotzt. Vorher plagte ich mich mit Zöpfen herum, legte sie als Schnecken über die Ohren, ließ sie als Affenschaukeln hängen, wand einen Gretchenkranz um den Kopf. In Kombination mit der Brille sah alles gleich altjüngferlich aus. Beate ließ sich die Haare schneiden, uneingedenk des Protestes der Gemeinde, und war nun noch schöner als vorher. Neid und Selbstmitleid nagten an meiner Seele. Ich wurde unausstehlich. Dann drückte mir Vati Geld in die Hand.
    »Kind«, sagte er, »die Gemeinde ist eh schon verärgert. Geh zum Friseur, laß dir auch die Haare schneiden.« Ich ging und wagte hinterher nicht in den Spiegel zu schauen. Aber die Geschwister empfingen mich schon an der Tür mit Begeisterungsschreien.
    »Schön! Herrlich! Prima! Toll!« riefen sie und waren so hektisch bemüht, meine Schönheit zu preisen, daß ich den

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