Pfarrers Kinder Muellers Vieh
Eindruck gewann, die lieben Eltern hätten hier einiges vorprogrammiert. Ich kam auf die Universität, nahm die Brille ab und gewann sogleich einen Mann. Ihm, dem angehenden Pfarrer zuliebe ließ ich die Haare wieder wachsen und züchtete eine »Glaubensfrucht« heran. Auch die Brille setzte ich wieder auf, allerdings erst, nachdem mir Manfred viele Male versichert hatte, er liebe mich mit Brille genauso wie ohne, und er freue sich, wenn ich ihn auch aus der Feme erkennen könne. Auch Großmama hatte einen Zwicker getragen und Mutti eine Brille, beiden wuchsen Knoten am Hinterhaupt, und beide waren vorbildliche Pfarrfrauen.
Manfred äußerte sich nicht über meine neue Frisur. Er seufzte nur manchmal und zupfte die Löckchen aus dem Knoten, so daß ich mich mehrmals am Tage frisieren mußte, um wieder häßlich genug auszusehen.
Im ersten gemeinsamen Urlaub, fern vom Dorf und seinen Frommen, kam uns plötzlich die Idee, wenigstens einen Teil meiner Haare zu kürzen. Wir gingen zu einem Friseur und ersuchten ihn, mir vorne Ponys zu schneiden.
Durch das straffe Zurückziehen gingen mir nämlich vorne die Haare aus, es zeigten sich bereits leichte Geheimratsecken. Der Friseur tat, wie ihm geheißen, aber er war nicht zufrieden mit dem Ergebnis. Wir auch nicht. Vorne die kurzen Fransen, hinten der dicke Knoten — mein Kopf sah irgendwie schizophren aus.
Wir kamen in die Gemeinde zurück, niemand sagte etwas. Man betrachtete mich verstohlen und schwieg. Nur eine unserer ganz Frommen konnte sich bei einem Besuch die Bemerkung nicht verkneifen: »Von hinten sehen sie immer noch wie unsere liebe Frau Pfarrer aus.« Was sie von meiner Vorderansicht hielt, sagte sie nicht, aber ihrem verkniffenen Gesicht nach zu schließen, war der Eindruck nicht günstig.
Der liebe Schwiegervater dagegen hielt mit seiner Meinung nicht zurück: »Vorne ein Luder, hinten eine Gans«, sagte er in Abwandlung des Spruches, den er bereits nach meinem Antrittsbesuch gegenüber seinem Sohn getan hatte. »Na ja«, meinte er damals, »lieber ein Luder als ‘ne Gans!« Ein paar Wochen nach dem ersten mißglückten Haarschnitt fuhren wir ins Städtchen, bummelten durch die Straßen und standen plötzlich vor einem Friseurgeschäft. Ich betrachtete die Preistabelle im Schaufenster. Manfred meinen Kopf. Dann betraten wir den Laden. Die »Glaubensfrucht« war reif zur Ernte und der Friseur kein Meister seines Faches, wie sich später herausstellte. Ungern machte er sich an die Aufgabe, eine neue Frisur zu kreieren und endgültige Schnitte zu tun. Er schnippelte unentschlossen mal hier mal da ein Büschelchen Haare weg und, erschreckt durch mein Angstgeschrei: »Nicht so viel! Vorsichtig, vorsichtig!«, schnitt seine zitternde Hand eine breite Schneise in die noch vorhandene Haarpracht. Gelockt und gewellt wirkte die Frisur am Ende der Prozedur doch recht ansprechend. Vorne und hinten paßten besser zusammen. Ich band schamhaft ein Tuch um den Kopf, als wir ins Dorf zurückfuhren. Abends sollte ich Mädchenkreis halten. »Kannst du heute den Kreis übernehmen?« fragte ich Manfred, »weißt du, ich fühle mich richtig elend. Ich bekomme sicher eine Grippe .«
»Geh nur«, sagte er, »du gefällst ihnen bestimmt.«
Die Mädchen waren tatsächlich begeistert.
»Schö sicht Frau Pfarrer aus«, sagten sie, »wie a jungs Mädle!« Die Jugend freute sich. Sie hatte ihre Gründe. Unter dem Vorwand, Frau Pfarrer hat auch ihre Haare abgeschnitten, fiel so mancher ungeliebte Knoten der Schere des Friseurs zum Opfer. Die Alten aber, Fromme und Sünder, beklagten den Verfall der Sitten und den Einbruch der bösen Welt.
Bei jedem Friseurbesuch wurde mein Haar kürzer. Schließlich saß es mir nur noch wie eine Kappe auf dem Kopf. Nun fühlte sich meine ganz besondere Freundin, die Frömmste der Frommen, dazu berufen, ein Zeugnis abzulegen. Sie erschien dazu im Sonntagsstaat, bewaffnet mit der Heiligen Schrift und ein paar Eiern.
»Frau Pfarrer«, sagte sie, sie sprach Hochdeutsch, wenn es um Glaubensfragen ging, »Frau Pfarrer, wissen Sie, daß in der Bibel steht: Das Haar ist ihr zur Decke gegeben?«
Ja, ich wußte es. Ich hatte die Stelle gelesen und mich darüber gewundert, denn welche Frau hat schon so dicke und lange Haare, daß sie sich damit zudecken kann? Ich erinnerte mich an das Bild der Genoveva in meinem Märchenbuch. Ihre langen blonden Haare reichten bis zum Boden und nur Gesicht und Hände schauten aus dieser Pracht heraus. Sie trug, so stand
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