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Pfarrers Kinder Muellers Vieh

Pfarrers Kinder Muellers Vieh

Titel: Pfarrers Kinder Muellers Vieh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amei Müller
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zwischen den Zähnen hatte und im Schweiße meines Angesichts kaute, beschloß ich, mehr Sorgfalt walten zu lassen. Ich schichtete die Brotstücke nach Art einer Holzbeige kunstvoll auf die Teller und sorgte dafür, daß nichts ins Rutschen geraten konnte. Schließlich lagen zwei makellose Brotkreuze auf den Abendmahlstellern. Die Mesnerin holte sie ab. »Gwieß wohr, Frau Pfarrer«, sagte sie und echtes Staunen klang aus ihrer Stimme, »des hent se fei gmacht!« Sie legte weiße Spitzentücher über meine Kunstwerke und trug sie hinüber in die Kirche.
    Beim ersten Abendmahl meines Lebens durchlitt ich tiefe Gewissensqualen. »Wer unwürdig isset und trinket, der isset und trinket sich selber zum Gericht!« so hatte Vati vorher gesagt. Mir war es, als gälte dieser Satz allein mir, denn ich war unwürdig durch und durch. So sehr ich auch versuchte, meine Gedanken auf Würdiges zu lenken, nichts Freches und Ungehöriges zu denken, es wollte nicht gelingen. Ich senkte meinen Blick in das Gesangbuch, um fromme Lieder zu lesen, aber nach kurzer Zeit schon mußte ich bemerken, daß meine Gedanken nicht mehr bei den frommen Liedern weilten. Ich riß mich zusammen und überdachte die Leidensgeschichte, hob sinnend den Blick und sah, wie eine Frau mit verklärtem Blick vom Tisch des Herrn zurückkehrte. Ihre Hände waren gefaltet, ihr Auge dankbar nach oben gerichtet. So sah sie die drei Stufen nicht, die sie nun hätte hinabsteigen müssen. Ihr Fuß trat ins Leere. Sie stieß einen Schreckensschrei aus, knickte nach vorne über und wäre zu Fall gekommen, hätte ich sie nicht in meinen Armen aufgefangen. Ach, wie unwürdig fühlte ich mich, daß ich nun auch noch lachen mußte, anstatt die Frau zu bemitleiden und fromme Gedanken zu hegen! Vor dem Altar suchte ich mit aller Kraft, nur Gutes zu denken, aber als mir Vati den Weinkelch an den Mund hielt, sah ich, daß etwas darin schwamm und tat nur einen winzigen Schluck, um den Fremdkörper nicht einzusaugen.
    In Weiden gab es bei den Abendmahlsfeiern auch einiges an seltsam Lächerlichem zu verkraften. So trug jeder, der zum Abendmahl ging, etwas Schwarzes an sich, und wenn es bloß das Taschentuch oder die Strümpfe waren. Früher wäre man ganz in Schwarz gekommen, erklärte die Mesnerin, es sei eine Sünde und Schande, daß die Leute so nachlässig geworden seien und nicht mehr genug Ehrfurcht vor dem Heiligen Mahl besäßen!
    Ich kauerte in der Pfarrbank und konnte meine ängstliche Nervosität kaum verbergen. Wann sollte ich aufstehen? Wann zum Altar gehen? Manfred lud zum Abendmahl ein. »Und nun tretet alle herzu. Schmecket und sehet, wie freundlich der Herr ist!«
    Ich schielte nach hinten. Mußte die Pfarrfrau etwa den Anfang machen? Nein, die jungen Mädchen standen auf, traten aus den Bänken und gingen mit gefalteten Händen zum Altar. Sie scheuchten mich zurück, als ich zu ihnen treten wollte. Dann erhoben sich die jüngeren Frauen, ihnen durfte ich mich anschließen, dann kamen die älteren. In einer langen Schlange standen die Abendmahlsgäste vom Kirchenschiff bis zum Chorraum. Als sich die letzte Reihe Frauen vor dem Altar versammelte, entstand oben auf der Empore ein Schurren und Trampeln. Dann marschierten die Männer die Treppe hinunter. Auch hier die Jugend voraus, die Alten hinterher. Noch etwas Befremdliches mußte ich bemerken. Vor dem Empfang von Brot und Wein machten die Frauen einen Knicks, die Männer eine Verbeugung. Die jungen Mädchen wippten nur kurz in den Knien, die älteren Frauen aber knicksten tief und ehrfürchtig. Ich hielt die Knie steif. Kein Knicks.
    »Gib die schöne Hand! Mach einen Knicks!« Ich hatte mich durch meine Kindheit geknickst. Alle Erwachsenen erwarteten, daß ich ganz selbstverständlich meine Knie vor ihnen beugte, und diese lächerliche Handlung vollzog, sobald sie mir gnädigst die Hand reichten. Dabei mußte ich jedesmal mit Hohngelächter oder gutmütigem Spott rechnen.
    »Bist halt ein kleines Trampeltier, Pickdewick!«, oder »sie ist ein wenig ungeschickt!«
    Beates Knickse gelangen auf s beste und wurden mit huldvollem Lächeln und Küssen honoriert. Das Knicksen ging mir in Fleisch und Blut über. Noch als Studentin mußte ich bei jeder Begrüßung aufpassen, weil sich meine Knie zum Knicks beugen wollten. Mit Mühe hatte ich mir diese Unsitte abgewöhnt. Nun stand ich vor dem Altar mit dem festen Entschluß, nicht zu knicksen. Ich tat es doch, und horchte ängstlich nach hinten. Lachte man in der Kirche?

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