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Pferdekuss

Pferdekuss

Titel: Pferdekuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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die fünf Tage in der Woche musste Vanessa eben mit dem Zug nach Reutlingen in die Schule fahren, wenn der Vater sie nicht mit dem Auto hinbringen wollte.
    »Nur dass Bongart nichts davon weiß«, bemerkte ich.
    »Er sollte auch nichts davon wissen. Weil die Eltern nicht mehr miteinander reden, nicht mal am Telefon, hat Vanessa immer solche Sachen ausmachen müssen. Da hat sie ihrem Vater halt gesagt, alles wie immer, und der Mutter hat sie gesagt, das mit dem Vater ginge klar. Aber jeden Tag mit dem Zug, das wäre voll der Stress gewesen. Außerdem hätte sie sich dann gar nicht mehr mit Ronni treffen können.«
    »Aber es fahren doch Züge. Ronni hätte mal nach Stuttgart kommen können.«
    Petra senkte die Stimme unter den Pegel der Wes tern musik. »Aber er ist doch schon 22, und Vanessa ist … war doch noch nicht 16. Das war dann Verführung Minderjähriger, hat sie gesagt. Deshalb durften die Eltern noch nichts davon wissen. Außerdem arbeitet er doch nur in der Druckerei, wo sie den Reutlinger Stadtanzeiger drucken. Und Abitur hat er auch nicht.«
    Ich konnte mir vorstellen, wie die Mutter mit den Goldarmbändern hohldrehte, wenn ihr Töchterchen sich an einen Drucker wegwarf, und erst der Vater. Heiter.
    »Und wie habt ihr das nun gestern Nachmittag geplant?«
    »Ich habe Vanessa um vier abgeholt, wie immer.«
    »Mit dem Fahrrad?«
    Petra nickte. »Wir sind zum Stall gefahren. Vanessa hat Prinz fertig gemacht. Dann hatten wir Reitstunde bis sieben. Da war dann auch Heide inzwischen da. Sie woll te noch die Reitstunde bei Hajo mitnehmen und dann nach Frankfurt fahren. Dort wollte sie bei einer alten Freundin übernachten und dann morgens um acht oder so von Frankfurt nach Teneriffa fliegen.«
    »Und Vanessa?«
    »Eigentlich wollte Vanessas Mutter sie bis Stuttgart mitnehmen. Aber Vanessa hat mir gesagt, dass sie versuchen will, ihre Mutter davon zu überzeugen, dass sie die eine Nacht in der Villa alleine übernachten darf oder bei mir. Dann wäre sie Freitag noch von hier aus in die Schule gefahren und erst dann mit dem Zug nach Stuttgart. Aber Heide wäre dann schon auf Teneriffa, und Vanessa wäre natürlich hiergeblieben. Wenn Vanessas Mutter darauf bestanden hätte, dass Vanessa schon diese Nacht beim Vater verbringt – total hirnverbrannt! –, dann wäre Vanessa gleich mit dem Zug von Stuttgart nach Reutlingen gefahren. Da hätte sie dann bei Ronni übernachtet.«
    »Und das war noch nicht klar, als ihr gestern Nachmittag ins Gestüt fuhrt?«
    »Noch nicht ganz. Aber Vanessa hat gesagt, es würd wahrscheinlich klappen. Sie wollte dann sofort heimfah ren, wenn die Mutter weg wäre, und Ronni anrufen, damit er sie abholt.«
    Dann musste Vanessa um acht noch am Leben gewesen sein. Sie hatte sich ordentlich von der Mutter verabschiedet. Andernfalls dürfte Heide kaum in den Urlaub gefahren sein.
    »Aber du hast nicht so lange gewartet?«
    »Nein, ich muss um acht daheim sein. Ich bin so ge gen Viertel vor acht los.«
    »Kannst du dir erklären, wie Vanessas Fahrrad vom Gestüt in den Amselweg gekommen ist?«
    »Ronni hat ein Auto. Vielleicht haben sie sich doch im alten Steinbruch verabredet, und er hat das Fahrrad mitgenommen.«
    »Ohne Vanessa?«
    »Ich weiß es doch auch nicht.« Erst jetzt erstickte ein Schluchzen Petras Stimme. »Ich weiß doch auch nicht, was passiert ist. Wäre ich doch nicht heimgefahren. Ich hätte meine Mutter anrufen können und sagen, dass ich später komme. Ich hätte ja sagen können, dass Vanessa mich zum Abendessen eingeladen hat, irgendwas. Va nessa wollte auch, dass ich bleibe. Vielleicht hat sie irgendet was geahnt. Sie wollte, dass wir das feiern, wenn ihre Mutter weg ist. Aber … ach Scheiße … ich hatte keine Lust dazu. Ronni und Vanessa knutschen dann ständig rum und vergessen, dass ich auch noch da bin. Das ist voll peinlich.«
    Ich rutschte mit halber Pobacke zu Petra auf den Stuhl und nahm das schluchzende Mädel in den Arm. Das gan ze Elend kam heraus. Petra war im letzten halben Jahr aufopferungsvolle Freundin gewesen, obgleich Vanessa nur noch Augen für Ronni und kaum noch Zeit für Petra gehabt hatte, die immer mit dem Fahrrad bereitstand, um Vanessa pro forma im Amselweg abzuholen und abends wieder heimzubegleiten, damit die Mutter nichts merkte. Immer öfter brachte Vanessa die Reitnachmittage mit Ronni im alten Steinbruch zu. Manchmal verspätete sie sich. Dann verspätete sich Petra, und ihre Mutter zeterte was vom Rollstuhl und drohte mit

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