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Pferdekuss

Pferdekuss

Titel: Pferdekuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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Heupferdchen sprangen aus den Grashalmen vor meinen Füßen in alle Winde. Zwischen Elektrobändern grasten Pferde, die Nüstern im Grün, die Kruppe in der Sonne umschwärmt von Fliegen. Ein Pferd wälzte sich grunzend in einer Erdkuhle. Ein Stich fuhr mir den Arm herauf. Ich sah die Pferdebremse am Handgelenk und schlug zu. Aber das Biest ließ sich fallen. Blut quoll aus dem Biss. Ich entzündete eilends eine Zigarette und hielt die Glut über die schnell aufquellende Einstichstelle. Das Bremsengift, auf das ich ziemlich allergisch reagierte, zerfiel erst bei über sechzig Grad. Es musste wehtun. Dabei klingelte das Handy und ich kam mit Zigarette und Telefon durcheinander.
    »Hi«, meldete sich Sally. »Es hat etwas länger gedau ert, weil …«
    Ich klemmte das Handy zwischen Kiefer und Schulter, um meinen Bremsenstich weiter zu behandeln. »Ist schon okay. Was hast du rausgekriegt?«
    »Du klingst schon wieder so seltsam.«
    »Mach dir keine Sorgen. Ich versuche nur, einen Bremsenstich in eine Brandblase zu verwandeln. Erzähl mir einfach gleich, was du bei Lufthansa erfahren hast, sonst bin ich tot, ehe du deine Informationen loswirst.«
    Sally schluckte. »Geh lieber sofort ins Krankenhaus.«
    »Ich bin okay. Also, was ist mit Heide Bongarts Lufthansa-Flug?«
    »Sie hat gebucht, aber sie ist nicht geflogen, und die ser Friedrich Gallion auch nicht.«
    Mir fiel das Handy vom Kinn ins Gras.
    »Der Flug wurde in einem Reisebüro in Reutlingen gebucht«, fuhr Sally fort, nachdem ich sie wieder am Ohr und die Zigarettenglut wieder an meinem Bremsenstich hatte. »Sie hat beide Flüge mit Kreditkarte bezahlt. Zwei Wochen Teneriffa. Sag mal, Friedrich Gallion, das ist doch …«
    »Mein ehemaliger Schwiegervater, stimmt.«
    »Er wollte übrigens von Stuttgart aus fliegen, 6 Uhr 40 nach Frankfurt. Sie hatte erst ab Frankfurt gebucht. Sag mal, was ist eigentlich los bei euch?«
    »Ich erzähl’s dir morgen Abend, wenn ich heimkomme.«
    Eigentlich hätte ich umdrehen müssen, um den General zur Rede zu stellen. Von wegen, keine Beziehung zu Heide. Nach Teneriffa hatten beide am Morgen seines Geburtstags fliegen wollen, den Gratulanten ein Schnippchen schlagen, er von Stuttgart, sie von Frankfurt aus, damit ihnen keiner draufkam. Und wenn er gestern früh nicht aufgebrochen war, dann wusste er am Don nerstagabend schon, dass die Tote doch Heide war. Übrigens im zweiten Monat schwanger. Damit bekam Friedrichs Schwadroniererei beim Festessen über Testamente und uneheliche Erben einen ganz konkreten Sinn.
    Aber ich hatte keine Zeit, darüber nachzudenken. Ich wollte daheim sein, falls mich der allergische Schock ereilte, auch wenn sich der Bremsenstich inzwischen in eine gelbliche Brandblase verwandelt hatte. Ich durchquerte grasende Pferde, umrundete einen Apfelbaum und wurde plötzlich des Kerls mit dem Fahrrad gewahr, der an der Landstraße wartete. Hajo. Er sah aus wie die Mittagsglut selbst, verschwitzt, die Haut verbrannt, das Haar wie Heu am Halm, die Augen wie Sommerhimmel, die Reithosen wie eingetrockneter Schlamm.
    »Wo willst du hin?«, fragte er, als ich die Böschung der Straße erklomm.
    »Heim.«
    »Ich habe jetzt Mittagspause«, teilte er mit. Nun woll te er es also wissen, erstens, ob ich mein Versprechen hielt, und zweitens, ob er in anderthalb Stunden die Sache mit den 26 oder meinetwegen 29 Buchstaben lernen konnte. Dabei hatte ich im Moment wirklich andere Sorgen.
    »Ich muss heim.«
    »Dann steig auf.«
    Er bot mir den Platz auf der Stange des Fahrrads an. Seit meiner Kindheit hatte ich mich nicht mehr auf so ein Abenteuer eingelassen. Was würde meine Mutter sagen, wenn ich ihr diesen Kerl anbrachte? Sie hatte mir eingebläut, dass ein Mädchen immer Nein sagte, wenn Männer sie zum Mitfahren einluden. Seitdem versuchte ich zu beweisen, dass es in meinen Beziehungen zu Männern Zwischentöne gab, nicht nur Hurerei oder Ehe. Aber die katholische Phantasie in ihrer höllischen Ausschweifung war stärker. Sie ließ eine Fahrradfahrt ohne Hintergedanken zwischen den Armen eines Mannes, der mir Heuhalme aus den Haaren zupfte, nicht zu. Ich dachte ausführlich an alles Mögliche.
    Den im Gegensatz zu mir ziemlich leichtgebauten Mann kostete es erhebliche Anstrengung, uns auf gemäßigter Schlangenlinie zwischen Fahrbahn und Graben zu halten, während an uns die Autos vorbeihupten. Die leichte Steigung nach Neu-Vingen hinauf zwang uns dann abzusteigen.
    »Diese Kommissarin«, sagte Hajo auf dem Weg an den

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