Pferdekuss
ich, »läuft es darauf hinaus, dass du ge hen musst.«
Er wandte sich unwillig ab.
»Halt«, sagte ich, »hier geht’s rein.«
25
Zuerst hatte Hajo Hemmungen, das Rad an den Zaun oder ans schmucke Häuschen zu lehnen. Linkisch wie ein Knecht begrüßte er dann meine Mutter, die aus dem dunklen Flur auf uns zuschoss.
»Ah, Sie sind es, Herr Lem. Aber das Essen ist noch nicht fertig, Lisa. Außerdem habe ich nicht gewusst, dass du noch jemanden mitbringst.«
»Machen Sie sich wegen mir keine Umstände«, sagte Hajo.
»Das ist ein gastliches Haus, Herr Lem. Sie sind selbstverständlich von Herzen willkommen.«
Auf dem Herd köchelte ein Gulasch. Hajo wischte sich die Hände am Gesäß ab und stand dumm herum.
»Da werden wir jetzt einfach ein paar Nudeln mehr machen«, sagte meine Mutter, »bitte setzen Sie sich doch, Herr Lem. Mit der Gallion’schen Küche können wir zwar nicht konkurrieren, aber dafür kommt es von Herzen.«
»Danke. Aber ich will wirklich nichts essen. Ich habe keinen Hunger.«
»Setz dich«, sagte ich.
»Bitte nehmen Sie Platz«, drängte meine Mutter. »Aber einen Kaffee trinken Sie jetzt doch erst einmal.«
»Nein danke. Wirklich nicht«, sagte Hajo und setzte sich endlich auf die äußerste Kante der Eckbank. Er be herrschte perfekt, was man von einem Burschen erwarte te, der in bäuerlichen Küchen zu Hause war. Meine Mutter ließ sich auch nicht nachsagen, dass sie nicht genügend nötigte, und füllte die Kaffeemaschine. Ich ging unterdessen Papier und Bleistift suchen. Als ich wiederkam, standen die Kaffeetassen schon, und Hajo hatte seine Fü ße unter den Tisch geschoben. Ich rutschte von der anderen Seite in die Eckbank.
»Wie lange arbeiten Sie schon im Gestüt?«, erkundig te sich meine Mutter.
»Im Winter fünf Jahre.«
»Und gefällt es Ihnen in Vingen?«
»Ja.« Er spielte mit dem Kaffeelöffel und warf einen nervösen Blick auf Papier und Bleistift neben seiner Tasse.
»Die Gallions haben ja viel für den Ort getan«, sagte meine Mutter.
»Ja, ich glaube schon.«
Meine Mutter stellte Milchkännchen und Zuckerdose auf den Tisch und goss den Kaffee ein. »Früher gab es ja nur sonntags Zucker. Aber so alt sind Sie noch nicht. Nicht wahr.«
»Ich nehme sowieso keinen Zucker.«
Auch jahrzehntelange Übung im Aushorchen hatte meiner Mutter keine Methode an die Hand gegeben, Hajo zu entlocken, wer er war. Der Unterhaltung hätte ich gern noch länger gelauscht. Aber Hajo zeigte bald, dass er geneigt war, den Stier bei den Hörnern zu packen, sobald er die Lage gepeilt hatte.
»Ich bin Ihrer Tochter sehr dankbar, dass sie den Versuch machen will, mir Lesen und Schreiben beizubringen.«
»Wie?«, fragte meine Mutter mit ungewöhnlich spontaner Verblüffung.
Ich winkte mit dem Bleistift.
»Ach richtig, Sie haben da Probleme. Meine Tochter hat Ihnen ja schon gestern Abend geholfen, damit der Chef nichts merkt. Ich habe es genau gesehen. Aber grämen Sie sich nicht. Lisa, erinnerst du dich an Paul, den Schwager von Onkel Karle? Er hat auch immer nur so getan, als läse er die Zeitung. Erst war Krieg und danach hat er immer nur auf dem Acker gearbeitet von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Da hat er dann vollends vergessen, was er mal gelernt hat.« Meine Mutter muster te Hajos dreckige Fingernägel. »Schön, dass Lisa Ihnen helfen will. Wir haben immer geholfen, wo Not und Bedürftigkeit herrscht.«
Damit stand sie auf, strich die Schürze glatt und ging an die Spüle, um mit Lappen und Bürste herumzutrödeln. Wenn Hajo sein Leben auf Höfen und Gestüten zugebracht hatte, dann wusste er, dass man die Küche nie für sich allein hatte und nie in die Stube auswich, um Ruhe zu haben. Ich rückte das Papier zurecht.
»Fangen wir mit deinem Namen an.«
Dass er Buchstaben abmalen konnte, hatte er schon bewiesen. Diesmal waren es nur vier Stück. Nachdem ich ihm H, A, J und O vorgesprochen hatte, konnte er sie auch richtig benennen, wenn ich einen herausdeutete. Doch dann schrieb er »Hoja«.
»Zuerst das A, dann das O«, sagte ich.
»Aha.«
»Jetzt merken Sie sich das halt«, sagte meine Mutter von der Spüle her.
»Mama, er kann sich nicht die Schreibweise von hunderten von Worten merken. Der Witz ist, dass man sie aus 26 Buchstaben logisch zusammensetzt.«
Sie kam an den Tisch. »Schauen Sie mal her: Das heißt Hajo. Das werden Sie sich wohl merken können. Und das hier heißt Vingen.« Sie krakelte unleserlich: »Vingen, also V wie Vingen, I wie Inge,
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