Pflicht und Verlangen
ihre
schlimmsten Befürchtungen bestätigt:
Liebe
Miss Millford,
Sie
sind jetzt schon so lange weg von hier. Ich wünsche Ihnen von
Herzen, dass es Ihnen gut geht. Aber nun muss ich mich an Sie wenden,
da ich mir sonst keinen Rat weiß. Leider muss ich Ihnen
mitteilen, dass meine kleine Emmy ein Kind erwartet. Das arme Ding
ist völlig verzweifelt und ich befürchte, dass sie sich
etwas antun könnte. Sie haben sich damals so verständnisvoll
gezeigt und versprochen, ihr zu helfen, wenn das geschehen sollte.
Sie sind meine letzte Hoffnung. Vielleicht wissen Sie einen Rat.
Ihre
ergebene Mrs Sooner
PS:
Bitte sagen Sie Lady Millford nichts davon.
Mit
zitternden Händen faltete Charlotte das Blatt zusammen und
steckte es in ihre Rocktasche. Fieberhaft begann sie sich das Hirn zu
zermartern, was getan werden konnte, um Emmy zu helfen. Der Gedanke
an Terency, der mit seiner gewalttätigen Gier Emmy in diese
hoffnungslose Lage gebracht hatte, machte sie rasend und erfüllte
sie mit Abscheu. Doch dann wurde ihr klar, dass auch sie wenig
Möglichkeiten hatte, etwas zu unternehmen und das, obwohl sie es
versprochen hatte. Sie spürte, wie sich eine schwere Last auf
sie legte. Emmy zählte auf sie als ihre letzte Hoffnung. Wenn
sie ihr nicht half, blieb dem armen Mädchen nur ein Leben in
Schande oder der Tod. Was konnte sie nur tun?
Dann
erst entsann sie sich des zweiten Schreibens. Auch hier erwarteten
sie vermutlich keine guten Nachrichten, obwohl ihr Mrs Sooner in
ihren Zeilen sicher mitgeteilt hätte, wenn sich Sir Alistairs
Zustand wesentlich verschlechtert hätte.
Was
konnte ihr Lady Millford also mitteilen wollen? Es half nichts, sie
musste auch dieses Schreiben lesen, aber besser nicht bei Tisch im
Beisein der Battingfields. Abrupt stand sie auf, wobei sie fast ein
Glas umgestoßen hätte und murmelte eine Entschuldigung.
Der Captain, der sie besorgt musterte, fragte: »Schlechte
Nachrichten, Miss Charlotte?«
Sie
konnte nichts erwidern, zu groß war ihre Erschütterung. So
nickte sie nur knapp und beeilte sich, den Raum zu verlassen.
Draußen
begann sich der Schock der Nachricht in ihr auszubreiten und ließ
sie erschauern: Die arme Emmy! Womöglich hatte sie sich schon
etwas angetan? Wie sollte sie ihr nur helfen? Was konnte sie tun?
Verwirrt und schwer in Gedanken achtete sie kaum darauf, wohin sie
ging.
Schließlich
fand sie in ihrer geliebten Bibliothek Zuflucht. An eines der Regale
gelehnt, fand sie nun auch den Mut, das zweite Schreiben zu öffnen.
Charlotte,
ich
sehe mich gezwungen, meiner äußersten Missbilligung über
deinen ungebührlich langen Besuch bei den Battingfields Ausdruck
zu verleihen. Ich hatte dich bereits in meinem letzten Schreiben
aufgefordert, deine Anwesenheit auf Dullham Manor in den Grenzen der
Höflichkeit zu beenden. Etwas, das so gar nicht deinem
aufsässigen Wesen entspricht. Sir Alistair fragt täglich
nach dir und ihm gegenüber bist du verpflichtet. Ich gewinne den
Eindruck, dass deine angebliche Arbeit am Nachlass deines Vaters
nicht den gewünschten Erfolg zeitigt und überdies völlig
nutzlos ist. Ein Umstand, der mir schon zu Beginn dieses törichten
Unterfangens offensichtlich schien. Auch befremdet mich, dass sich
dieser Dr. Banning nicht in dem Maße einbringt, wie er es so
vollmundig angekündigt hat.
Wie
dem auch sei, der Anlass meines Schreibens ist, dass ich deine
unverzügliche Rückkehr nach Millford Hall wünsche. Mr
Terency hat die Güte, uns in zwei Tagen erneut zu beehren. Auch
seine Einladung zur Fuchsjagd hat er noch einmal erneuert. Du siehst
sicher ein, dass es deine unbedingte Pflicht ist, dich ohne weitere
Ausflüchte wieder hier einzufinden.
Lady
Eleanor Millford
Charlotte
fühlte augenblicklich Übelkeit und Furcht in sich
aufsteigen. Sie konnte es nicht glauben! Terency wagte es
tatsächlich, an den Ort seines Verbrechens zurückzukehren
und würde auch noch mit allen Ehren empfangen werden. Die
Vorstellung, ihm noch einmal und dann auch noch unter dem
Erwartungsdruck ihrer Tante begegnen zu müssen, war mehr als sie
ertragen konnte. In steigender Panik biss sie sich auf die Lippen,
doch dann brach, ohne dass sie es noch zurückhalten konnte, ein
krampfartiges Weinen aus ihr heraus. Sie kauerte sich am Fuße
des schweren Möbels zusammen. Der Brief Lady Millfords entglitt
ihren zitternden Fingern, mit denen sie nun in völliger
Verzweiflung ihr Gesicht bedeckte. Sie war verloren, Emmy war
verloren! Wo zeigte sich nur ein Ausweg? Sie
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