Pflicht und Verlangen
ihre
Schwägerin, Elisa Brandon, hegte Lady Millford einen tief
sitzenden Groll, der sich nicht allein mit der fatalen Entscheidung
Elisas erklären ließ, dem Mann, den sie liebte, zu folgen,
ohne Rücksicht auf die gesellschaftlichen Konsequenzen. Auch
eine gewisse Nuance der Eifersucht spielte eine Rolle und ließ
Lady Millford nichts Positives an ihrer Nichte erkennen. Sie hielt
sie, wie sie ihr immer wieder auf die eine oder andere Art zu
verstehen gab, für anmaßend, ungeschickt, aufsässig
und obendrein nur unter Einsatz äußerster Mittel für
einigermaßen akzeptabel, was ihr Aussehen und damit letztlich
ihre Fähigkeit, einen angemessenen Ehemann zu finden, anbetraf.
Einige
wenige Male hatte Charlotte es gewagt ihr zu widersprechen,
besonders, wenn der Charakter ihres Vaters in Zweifel gezogen wurde.
Dies war etwas, was sie nur schwer ertragen konnte, da sie vor allem
an ihrem Vater mit zärtlicher Liebe gehangen hatte und ihn auch
Jahre nach seinem Tod noch immer schmerzlich vermisste. Ihre Einwände
hatten jedoch bei Lady Millford nur ihre vorgefasste Einschätzung
ihrer Nichte hinsichtlich deren Aufsässigkeit und Verderbtheit
verstärkt. So hatte es Charlotte vorgezogen, keinen Widerstand
mehr zu leisten und ließ geduldig die weitgehend eigentlich
völlig überflüssigen Einweisungen hinsichtlich Benimm,
Konversation und Auftritt über sich ergehen. Auf die Dauer
spürte sie aber, wie die ständigen Kränkungen sie zu
zermürben begannen.
Kapitel
5
Betty,
die Zofe Lady Millfords, drehte unermüdlich die Papilloten in
Charlottes dunkelbraunes, langes und leider, so hatte die Hausherrin
befunden, viel zu glattes Haar und ermahnte die so Gefolterte von
Zeit zu Zeit stillzuhalten. Kunstvoll geringelte Hochsteckfrisuren
mit Bändern und Federn waren zwar chic und wurden auf
Festivitäten erwartet, wie Lady Millford Charlotte kategorisch
erklärt hatte, Charlotte fand sie aber übertrieben und
lästig. Sie hatte, dachte sie, nun einmal glattes, unspektakulär
dunkelbraunes Haar und belächelte insgeheim das Bemühen der
Oberschicht, sich der antiken Vorbilder zu bedienen und sie
gleichzeitig durch lächerliche Federn und ähnliche
Stilbrüche ad absurdum zu führen. Sie bevorzugte den
französisch-bürgerlichen (7) Stil, was Lady Millford
sicherlich für einen glatten Affront gehalten hätte, wenn
Charlotte es gewagt hätte, ihre Vorstellungen mit in die
Diskussion zu geben. Charlotte hatte allerdings genug von der
Prozedur. Was für ein Aufstand! Sie hätte wirklich eine
deutlich schlichtere Frisur bevorzugt, die ungleich besser zu ihren,
so fand sie, durchschnittlich hübschen Gesichtszügen
gepasst hätte. Doch Mylady hatte befohlen, und Myladys
Anordnungen galten im Hause Millford als ehernes Gesetz. Nach
endlosen zwei Stunden schien Betty zufrieden zu sein. Sie wies
Charlotte an, sich zurückzulehnen und begann, deren Gesicht mit
einer Mischung aus Kleie und feinem Sand zu bestreichen.
» Muss
das wirklich sein, Betty?«, stöhnte Charlotte.
» Sicher,
Miss, wenn Sie hübsch sein wollen und das wollen Sie doch für
den Ball, nicht wahr?«
» Ja,
sicher«, seufzte Charlotte ergeben, »alles für den
Ball und meine Einführung als Festochse!«
» Ich
bitte dich, mit etwas mehr Respekt an diesen wichtigen Termin zu
denken!« Die Worte ihrer Tante ließen die junge Frau
zusammenzucken. Lady Millford war von Charlotte unbemerkt eingetreten
und hatte die letzten Worte unglücklicherweise gehört.
»Wenn du dich als Festochse siehst, wirst du dich auch wie ein
solcher verhalten und uns eine große Blamage bereiten.«
» Verzeihen
Sie, Tante, aber ist dieser Aufwand denn wirklich nötig? Ich
fühle mich in dieser Aufmachung wirklich nicht wohl und bin es
nicht gewohnt, so ein Aufheben von mir zu machen.«
» Das
verwundert mich nicht, Charlotte, wenn man deine Herkunft bedenkt.
Selbstverständlich hattest du bei deinen Eltern, die vermutlich
wie bessere Bauern in dieser griechischen Einöde vegetierten,
keine Zeit und auch keinen Anlass, dich um dein Äußeres zu
kümmern.
Allerdings
hatte ich gehofft, dass du wenigstens am Institut gelernt hast, dich
um dein Aussehen zu bemühen.«
» Das
habe ich allerdings, Tante. Mir scheint jedoch, wir verstehen
Unterschiedliches unter Bemühung .«
Es
war gut, dass die Paste auf ihrem Gesicht mittlerweile angetrocknet
war, denn sonst hätte Lady Millford sofort bemerkt, dass
Charlotte vor Zorn rot geworden war. Mühsam versuchte sie, ihre
aufwallenden
Weitere Kostenlose Bücher