Pflicht und Verlangen
keine
Ruhe finden und nicht bald genesen konnte, war es gut möglich,
dass die Erkrankung einen schwereren Verlauf nahm. Sie wäre
nicht die erste junge Person, die vor der Zeit von einem Fieber
dahingerafft wurde.
Es
machte die Bedienstete mehr als zornig, dass Lady Millford sich so
uneinsichtig zeigte und damit ihre Nichte in ernste Gefahr brachte.
Die Köchin, die schon seit sie denken konnte auf Millford Hall
diente, konnte sich nicht erinnern, ihre Herrin je so verbissen und
herrschsüchtig erlebt zu haben. Es war fast, als würde sie
vom Teufel geritten! Oder war es doch nur die Angst, beim Tod des
Herrn alles zu verlieren? Was würde dann aus Millford Hall
werden mit all seinen Bediensteten, allem, was über Jahrzehnte
dort aufgebaut worden war? Das war tatsächlich ein schwieriges
Problem. Lady Millford hatte, so wie die Dinge lagen, keinerlei
Anspruch darauf, nach dem Tode ihres Mannes in Millford Hall
weiterleben zu können, was, das musste Mrs Sooner trotz ihrer
derzeitigen Missstimmung in Bezug auf ihre Herrin zugeben, ein
wirkliches Unrecht war. Lady Millford hatte sich in all den Jahren
mehr um Millford Hall verdient gemacht als es ihr sicher
wohlmeinender, aber eben in der Bewirtschaftung eines solchen
Landsitzes eher ungeschickter Gatte je vermocht hatte. Frauen konnten
nun einmal nicht erben, das wusste schließlich jeder. Alles
hing, wie es aussah, an Miss Charlotte und einer entsprechend
günstigen Heirat.
Wahrlich
eine vertrackte Situation! Das Leben war für eine Frau nicht
leicht, dachte Mrs Sooner seufzend, und dabei spielte es kaum eine
Rolle, ob man nun zur Herrschaft oder zur Dienerschaft gehörte.
Eine Frau hatte sich zu fügen, zu gehorchen und war – auch
in finanzieller Hinsicht – auf das Wohlwollen der Männer
als den naturgemäßen Herren der Schöpfung angewiesen.
Und wenn diese Herren verrohte und verbrecherische Männer waren
wie der verabscheuungswürdige sogenannte »Gentleman«,
der ihre kleine Emmy geschändet hatte, dann sah die Zukunft
wirklich finster aus.
» Es
nützt doch nichts, wenn Sie sich so sorgen, meine liebe Miss
Millford! Wir sind alle in Gottes Hand«, versuchte sie
schließlich etwas hilflos, die beunruhigte Patientin zu
trösten. »Sie müssen einfach wieder gesund werden,
dann wird Ihnen auch sicher etwas einfallen.« Als sie sah, dass
ihre Worte wenig Wirkung erzielten, strich sie entschlossen
Charlottes Decke glatt und meinte dann in ihrer gewohnt resoluten
Art: »Ich werde noch einmal mit Lady Millford sprechen, und
wenn sie mich hinauswirft, ist es mir gleich. Es ist einfach ein
himmelschreiendes Unrecht und schändlich, was Ihnen zugemutet
wird. Ich kann das nicht mehr mit ansehen!«
Charlotte
nahm das Ansinnen als das, was es war: von Herzen gut gemeint, aber
leider völlig sinnlos. »Mrs Sooner«, flüsterte
sie deshalb, gegen ihre Heiserkeit ankämpfend, »lassen Sie
es gut sein. Es hätte doch keinen Erfolg. Sie würden Ihre
Stelle völlig sinnlos opfern und das würde ich doch sehr
bedauern. Ich brauche Sie doch hier als meine einzige Verbündete.
Meine Tante ist überzeugt davon, dass Mr Terency der neue Herr
auf Millford Hall wird und das in allerkürzester Zeit. Davon ist
sie nicht abzubringen, und wenn man ihr noch so gute Gründe
dagegen präsentierte.«
» Sollte
dieser Mr Terency hier Herr werden, dann bin ich die längste
Zeit Köchin auf Millford Hall gewesen«, prophezeite Mrs
Sooner finster, musste aber einsehen, dass ihre junge Herrin recht
hatte. Sie konnte nichts zur Lösung beitragen. Das Einzige, was
sie in dieser schlimmen Lage tun konnte war, die Patientin so gut es
ging mit guter und nahrhafter Kost aufzupäppeln. Bald würde
ja auch der Arzt nochmals nach ihrer bedauernswerten jungen Herrin
sehen, deshalb beschloss sie, sich in ihr angestammtes Reich
zurückzuziehen. Mit einem mitfühlenden Lächeln
verabschiedete sie sich und ließ Charlotte allein in dem
dämmrigen Raum.
Obwohl
Charlotte einem Ausweg aus ihrer misslichen Lage keinen Schritt
nähergekommen war, tat ihr die Fürsorge der mütterlichen
Frau gut. Wenn diese ihr auch nicht wirklich beistehen konnte, so tat
es ihr doch wohl zu wissen, dass es Menschen gab, die sich um sie
sorgten und die ihre Sicht der Dinge teilten. Tatsächlich war es
wohl das Vernünftigste, erst einmal gesund zu werden. Die
unmittelbare Gefahr durch Terency war zumindest für den
Augenblick gebannt, vielleicht fand sich ja doch noch ein Weg, wie
sie sich ihm widersetzen konnte.
Da
klopfte
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