Pflicht und Verlangen
dröhnende Stimme von Mrs
Dellaford. »Captain Battingfield, endlich! Ich habe Sie schon
gesucht. Wo haben Sie nur gesteckt?« Ihre Stimme verriet
Empörung, die aber nichts mit ihm zu tun haben konnte. Er wandte
sich zu ihr um.
» Guten
Morgen, Mrs Dellaford«, begrüßte er sie. »Gibt
es denn einen Grund, warum Sie mich so dringend sprechen wollen?«
» Das
will ich meinen, Captain! Stellen Sie sich vor: Die flinke weiße
Stute, die Miss Millford gestern geritten hat, liegt im Stall mit
Koliken. Man wird sie wahrscheinlich erschießen müssen.
Jenkins ist ganz verzweifelt und kann sich die Sache nicht erklären,
da das Tier gestern noch in bester Verfassung war. Er meint, es
könnte sich um eine Vergiftung handeln, aber wer sollte so etwas
tun?«
John
erstarrte. War dies der Auftakt? Das Pferd, das Charlotte am Vortag
noch so wacker getragen hatte, war aus dem Weg geräumt worden
durch einen feigen Anschlag. John hatte keinen Zweifel daran, wer
dafür verantwortlich war.
In
diesem Augenblick trat Charlotte aus dem Stall, gefolgt von Lady
Millford, die heftig gestikulierend auf sie einredete. Charlotte
hingegen machte einen sehr wütenden Eindruck. Sicher hatte auch
sie sofort erraten, wer der Übeltäter war. Schnurstracks
ging sie auf Terency zu, um ihn zur Rede zu stellen. Mrs Dellaford,
die den Auftritt ebenfalls beobachtet hatte, trieb ihr Pferd mitten
im Gewühl der wartenden Reiter nun näher an das Geschehen
heran. Als John ihr folgen wollte, verstellte ihm plötzlich
Daniel Porter zu Pferde den Weg.
» Lord
Battingfield, Sie werden heute mit der zweiten Gruppe reiten. Hat man
Ihnen das nicht mitgeteilt?«
» Nein,
das hat man nicht!«, knurrte John ihn böse an und
versuchte, an Porter vorbei ebenfalls einen Blick auf das Geschehen
zu erhaschen. In der Nähe Terencys kam es zu einem kleineren
Tumult, aber John konnte nicht erkennen, was vor sich ging. Porter
schob sich erfolgreich dazwischen.
» Gehen
Sie mir gefälligst aus dem Weg«, herrschte John ihn an,
doch dieser rührte sich nicht vom Fleck, sondern grinste ihn
stattdessen aufreizend an.
Da
wurde plötzlich der große schwarze Hengst, die
unberechenbare Neuerwerbung Terencys, aus dem Stall herausgeführt.
Er trug einen Damensattel. John fuhr der heftige Schreck über
diesen Anblick wie ein Faustschlag in den Magen. Der Plan lag nun
offen zutage: Terency hatte die weiße Stute vergiften lassen
und gab Charlotte dieses widerspenstige Pferd für die ohnehin
fordernde Jagd. Er versuchte sie tatsächlich umzubringen, etwas
anderes konnte nicht das Ziel sein.
Mit
verzweifelter Entschlossenheit versuchte John sich an Porter
vorbeizudrängen, um das Drama, das sich anbahnte, im letzten
Augenblick noch zu verhindern. Doch Porter, der von Terency offenbar
Anweisung erhalten hatte, ihn unbedingt vom Geschehen fernzuhalten,
ließ sich nicht so leicht abschütteln und drängte ihn
seinerseits immer wieder ab. Es kam zu einem Gedränge unter den
Reitern in ihrer unmittelbaren Umgebung, die jetzt ebenfalls in
Mitleidenschaft gezogen wurden. Einer stürzte vom Pferd und
aufgeregte Rufe wurden laut. Zu spät gelang es John, sich aus
dem Gewühl zu lösen. Gerade sah er noch, wie Jenkins, der
ebenfalls zu Pferde saß, da er als Stallmeister die Jagd
begleiten musste, seinem Herrn offenbar heftige Vorwürfe machte,
die dieser damit beantwortete, dass er dem Mann plötzlich
mehrfach hart mit der Gerte ins Gesicht schlug. Charlotte hingegen
wurde von den beiden anderen Spießgesellen Terencys gezwungen,
den unruhigen Hengst zu besteigen. Unter dem Vorwand, ihr zu helfen,
hatten die beiden links und rechts von ihr Aufstellung genommen und
hoben sie mit eisernem Griff, dem sie sich nicht entwinden konnte, in
den Sattel. In diesem Moment ertönte in der Ferne der von den
Jägern so heiß ersehnte Ruf der Trompe de Chasse und die
Hundemeute, gefolgt von der ungeordneten riesigen Reiterschar, brach
in gewaltiger Woge los und riss sowohl John wie auch Charlotte auf
ihrem wild mit den Augen rollenden Tier mit sich. Es gab kein Zurück
mehr, die Jagd hatte begonnen!
Alle
heftigen Bemühungen Johns zu Charlotte aufzuschließen,
waren zunächst zum Scheitern verurteilt. Hart bedrängt von
Porter war es ihm im dichten Pulk der Reiter unmöglich, Raum
gutzumachen. Von einem Aufbruch in zwei Gruppen konnte natürlich
keine Rede mehr sein. Die Teilnehmer, die mit der fremden Regelung
ohnehin unzufrieden gewesen waren, hatten sich einfach darüber
hinweggesetzt und die
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