Pflicht und Verlangen
Terency, mit dem er
machen kann, was er will. Doch als ich dann heute Morgen mitbekam,
dass er die arme junge Dame hier«, er warf einen besorgten
Blick auf die erschreckend bleiche Charlotte, »auf dieses
Teufelstier setzen wollte, wurde mir klar, was gespielt wurde. Ich
habe ihn zur Rede gestellt und den Rest kennen Sie ja.«
» Hören
Sie, Jenkins, Sie müssen das unbedingt sofort dem Coroner
berichten!«, John ergriff Jenkins erregt beim Arm. »Noch
bevor Terency Sie daran hindern kann, was er mit Sicherheit versuchen
wird. Ich werde Ihre Geschichte bestätigen und auch Mrs
Dellaford um ihre Aussage bitten. Terency wird dafür hängen,
das schwöre ich Ihnen. Wenn Sie dann Schwierigkeiten haben,
wenden Sie sich an mich. Ich werde mich darum kümmern, dass Sie
dadurch keine Nachteile haben.«
» Das
ist sehr freundlich von Ihnen, Mylord, aber das wird nicht nötig
sein. Außerdem … ich denke, das ist meine Pflicht als
Christenmensch und der jungen Miss gegenüber. Das arme Ding!«
In Jenkins’ Gesicht spiegelte sich aufrichtiges Mitleid.
Auch
John wandte sich jetzt wieder Charlotte zu, die begonnen hatte
unruhig zu werden. Vermutlich verspürte sie ihre Schmerzen
wieder stärker.
Endlich
erreichten sie den Hof von Rockbury Castle. Eine Gruppe von
Bediensteten und ein mittelgroßer, kräftig gebauter Mann
um die fünfzig eilten ihnen bereits entgegen. Kaum hatte der
Wagen gehalten, kletterte Dr. Williams, denn um ihn handelte es sich
zweifellos, auch schon auf das Gefährt, um seine Patientin einer
ersten Untersuchung zu unterziehen.
Kurz
darauf wandte er John sein Gesicht zu und zog in ernster Besorgnis
die Augenbrauen nach oben: »Es geht ihr sehr schlecht. Ich weiß
nicht, ob ich sie durchbringen werde.«
» Ich
bitte Sie, tun Sie, was immer in Ihrer Macht steht«, presste
John zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Es fiel ihm
immer schwerer, seine Anspannung und die Folgen des Schocks, den er
selbst erlitten hatte, im Zaum zu halten. Dr. Williams wies schnell
die Bediensteten an, die Verletzte mit äußerster
Behutsamkeit in ein vorbereitetes Zimmer zu bringen. Dann nahm er
John bei der Schulter. »Sir, ich glaube, Ihnen würde ein
Gin jetzt guttun. Sie haben getan, was Sie konnten. Am besten, Sie
gönnen sich jetzt selbst etwas Ruhe. Ich kümmere mich schon
um die junge Frau. Wie ist denn übrigens ihr Name?«
» Charlotte
Millford!«
» Aha!
Und der Ihre?«
» Captain
John Battingfield, Sir! Captain der Marine, um genau zu sein.«
» Nun,
das erklärt die sachkundige Hilfe, die Sie Miss Millford
angedeihen ließen. Sie haben gute Arbeit geleistet, Captain.
Ich denke, ohne Sie würde sie bereits nicht mehr unter uns
weilen. Aber ich muss mich jetzt dringend um meine Patientin kümmern.
Ich werde Sie später noch einmal aufsuchen.«
Dr.
Williams drückte John fest die Hand und eilte dann fort.
Jenkins, der die Kutsche in der Zwischenzeit fortgeschickt hatte, kam
auf ihn zu und sagte leise: »Ich werde mich jetzt gleich auf
den Weg in die Stadt machen und den Coroner aufsuchen, wie Sie gesagt
haben. Das wird das Beste sein. Bis die Jagd zurückkehrt, bin
ich längst wieder da.«
John
nickte stumm und wankte dann davon. Tatsächlich brauchte er
jetzt dringend etwas zur Stärkung.
Kapitel
35
Charlotte
war in einem Raum abseits der Gästezimmer in einem ruhigeren
Flügel des Schlosses untergebracht worden. Dieser gehörte
zum mittelalterlichen Bereich des Schlosses und wies noch deutlich
die Spuren der normannischen Erbauer auf. Jedoch hatten spätere
Generationen für Bequemlichkeit gesorgt und sowohl in den Räumen
wie in der kleinen Halle, an die diese angrenzten, für
Feuerstellen und Kamine gesorgt. John saß, nachdem er sich
etwas beruhigt und gestärkt hatte, nun schon seit geraumer Zeit
auf einem der Sessel in der Halle am Kamin und wartete darauf, dass
Dr. Williams ihm endlich mitteilte, wie es um Charlotte stand. Die
untätige Warterei strapazierte ihn bis an die Grenze des
Erträglichen. Mit deutlicher Verspätung war auch Lady
Millford eingetroffen und stand ebenfalls wartend mit
unergründlicher, versteinerter Miene inmitten des Raumes.
Seltsamerweise würdigte sie ihn keines Blickes und weder ein
Wort des Dankes noch eine Frage nach dem Hergang der Ereignisse war
aus ihrem Munde zu hören. Vielleicht hatte sie ein schlechtes
Gewissen, vermutete John. Schließlich war sie nicht
unmaßgeblich daran beteiligt gewesen, dass die ihr anvertraute
junge Frau nun schwer verletzt nebenan
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