Pflicht und Verlangen
sei er untröstlich und hoffe mit Bangigkeit auf
baldige gute Nachrichten von ihr oder ihrem Arzt.
» Ich
werde ihm schreiben, sobald ich kann«, meinte Charlotte dazu.
»Der gute Dr. Banning! Er hatte angenommen, dass Lady Millford,
sobald sie Kenntnis von Emmys Unglück bekommen hätte,
Terency die Tür weisen würde. Er ist ein solcher
Menschenfreund, dass er sich nicht vorstellen kann, dass andere
anders handeln könnten als er selbst es tun würde.«
» Charlotte,
weißt du, was das heißt?«, meinte Mary, den Brief
ein zweites Mal ungläubig studierend. »Du bist nicht nur
mit einem Schlag eine reiche Frau, sondern hast überdies
Aussicht auf eine Berufstätigkeit, die deinen Neigungen
entspricht. So wendet sich doch zumindest diesbezüglich vieles
zum Guten, findest du nicht auch?«
» Da
magst du recht haben … ich kann es noch gar nicht fassen.«
Charlotte lehnte sich zurück, schloss die Augen und ließ
ihr immer noch blasses Gesicht von der wärmenden Sonne
bescheinen. »Eigentlich brauche ich gar nicht so viel Geld für
mich. Die Aussicht, arbeiten zu können – und dann auch
noch für das British Museum –, macht mir am meisten
Freude. Ich hoffe nur, die Herren trifft nicht der Schlag, wenn ich
wie ein alter Pirat daherkomme mit Narbe und Hinkebein«, sagte
sie und blinzelte ihre Freundin verschwörerisch an.
» Charlotte,
du bist unverbesserlich«, meinte Mary tadelnd, war aber
insgeheim glücklich darüber, dass ihre Freundin, um die sie
so besorgt war, zumindest ihren Lebensmut und ihren Humor
wiedergefunden zu haben schien. Nun konnte es nur noch aufwärtsgehen.
Ein
Brief lag noch ungeöffnet auf Charlottes Schoß. Er war aus
Millford Hall. Mary wollte ihn schon wegnehmen, da sie glaubte,
Charlotte habe für heute genug geleistet. Diese hielt aber ihre
Hand fest und nahm das Schreiben an sich.
» Lass
nur, Mary! Was kann mir diese Frau noch antun? Sie hat ihre Macht
über mich verloren, in dem Moment als ich mein Bein verlor. Nun
kann ich ihr nicht mehr von Nutzen sein, was meine Freiheit bedeutet.
Sie ist in Wahrheit die Verliererin und das weiß sie auch. Ich
will nur wissen, ob Sir Alistair noch lebt. Alles Weitere vermag mich
nicht mehr zu kränken.«
» Ich
staune, dass du es so sehen kannst, aber vermutlich hast du recht.
Soll ich dir den Brief vorlesen? So musst du dich den vielleicht
enthaltenen Schmähungen wenigstens nicht allein stellen.«
» Ja,
tu das!«, meinte Charlotte schlicht und schloss die Augen,
geduldig darauf wartend, was Lady Millford ihr zu sagen hatte.
Mary
brach das Siegel, räusperte sich und begann zu lesen:
Charlotte,
ich
bedaure, dir mitteilen zu müssen, dass Sir Alistair vier Tage
nach meiner Rückkehr von Rockbury Castle in den frühen
Morgenstunden verschieden ist. Er wurde inzwischen in der
Familiengruft beigesetzt. Du warst ja aufgrund deines Unfalls nicht
in der Lage, an der Beerdigung teilzunehmen, wie es eigentlich deine
Pflicht gewesen wäre.
Leider
hat mich dieser Unfall, der ausschließlich durch deine eigene
Schuld und dein eigenes Unvermögen herbeigeführt wurde, in
eine schwierige Lage gebracht. Ich werde im Laufe von vier Wochen
Millford Hall verlassen müssen, da es in Ermangelung eines
Erbberechtigten an die Krone zurückfiel und inzwischen, wie mir
mitgeteilt wurde, an einen Interessenten verkauft wurde.
Da
ich selbst aufgrund der prekären wirtschaftlichen Lage, in der
mich der Baronet zurückließ, nur über die
finanziellen Mittel verfüge, die aus meiner in die Ehe
eingebrachten Mitgift und den Verkauf meines persönlichen
Besitzes und Schmucks resultieren – der Käufer hat durch
einen Treuhänder bereits eine Bestandsaufnahme des Interieurs
veranlasst, was mich in eine weitere unangenehme Lage zwingt –
sehe ich mich außerstande, dich zu unterstützen, auch wenn
du dies vielleicht erwartest, da du ja jetzt verkrüppelt bist.
Du wirst dir also selbst ein Auskommen schaffen müssen.
Ich
habe darüber hinaus unseren Anwalt angewiesen, die Adoption
wieder rückgängig zu machen, die ausschließlich von
Sir Alistair gewünscht worden war und an die ich mich nicht mehr
gebunden fühle. Du wirst in Kürze ein entsprechendes
Schreiben erhalten. Selbstverständlich verbiete ich dir auch
ausdrücklich, den Namen Millford weiterhin zu führen.
Ich
kann nicht umhin, auch meiner Abscheu darüber Ausdruck zu
verleihen, dass du offensichtlich so schamlos warst, ein
unmoralisches Verhältnis mit dem Baron of Dullham zu
unterhalten. Ich
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