Pflicht und Verlangen
bei uns bist, John. Du bist
uns sehr willkommen!«, fügte sie mit aller Wärme
ihres Herzens hinzu.
Sie
hielt es für besser, wenn die Brüder sich geschäftlichen
Dingen zuwandten und ihr Schwager von seinen häuslichen
Schwierigkeiten abgelenkt würde und verließ mit
sorgenvollem Blick den Salon.
******
» Miss
Brandon?«, vorsichtig klopfte Emmy an Charlottes Tür.
»Lady Millford schickt nach Ihnen. Mr Norton ist jetzt
angekommen.«
Charlotte
öffnete, froh über die willkommene Abwechslung. Das Leben
auf Millford Hall war seit dem Ball von Eintönigkeit geprägt.
Die letzten Gäste waren am Morgen des übernächsten
Tages abgereist, zur heimlichen Erleichterung des Personals und wohl
auch Lady Millfords, deren steile Stirnfalte sich wegen der großen
Ausgaben, die das Fest verursacht hatte, unvorteilhaft vertieft
hatte. Charlotte hatte vor allem die Abreise der Fortescues bedauert.
Die Schwestern waren ihr richtig ans Herz gewachsen und selbst der
schüchterne Edward hatte Vertrauen zu ihr gefasst und ihr von
seinen Bedenken wegen der auf ihn wartenden Verantwortung als
Hilfspfarrer erzählt.
Nun
aber verbrachte sie ihre Zeit damit, Sir Alistair vorzulesen,
spazieren zu gehen und zu nähen – eine Tätigkeit, die
sie zwar durchaus ablenkte, aber nicht die langen Stunden der zäh
dahinrinnenden Tage ausfüllen konnte. Nur das Klavierspiel
verschaffte ihr gewisse Erleichterung, aber sie wagte aus Vorsicht
nur zu musizieren, wenn die Tante nicht in der Nähe war.
Das
Thema »Klavier« war seit dem Ball betont vermieden
worden. Zu Charlottes großer Überraschung hatte Lady
Millford ihr jedoch keine Belehrung über unziemliches Verhalten
und mangelnde Zurückhaltung zukommen lassen. Dabei war sie
selbst unzufrieden mit sich. Sie hätte einfach mehr insistieren
sollen und sich nicht von Terency provozieren lassen dürfen.
Überhaupt brachte der Gedanke an diesen Vertreter des Hochadels
eher niedere Instinkte bei ihr zum Vorschein, die sich inzwischen vor
allen Dingen in dem Wunsch erschöpften, ihm ein paar kräftige
Ohrfeigen zu verpassen, wenn er ihr das nächste Mal zu Gesicht
kommen würde.
Leider
war sie sich nur allzu bewusst, dass dies auf keinen Fall dem Wunsche
Lady Millfords entsprach. Diese wies, wo sich nur die Gelegenheit
ergab, darauf hin, wie überaus galant sie dessen Auftreten
empfunden hatte und vergaß auch nicht, regelmäßig
anzufügen, dass besagter Mr Terency als dritter Sohn des Marquis
of Hastings and Chesterford – über seine komfortable
jährliche Apanage hinaus – die stolze Summe von 45.000
Pfund zu erwarten habe.
Sir
Alistair war seit dem Ball sehr müde und schwach. Immer öfter
benötigte er seinen Stärkungstrank und Charlotte begann zu
befürchten, dass er den Frühling nicht mehr erleben würde.
Der Hausarzt der Familie schüttelte ein ums andere Mal besorgt
den Kopf und ließ ihn mehrmals zur Ader, was ihm aber nicht
wirklich zu helfen schien.
Mr
Nortons Kommen war Charlotte am gestrigen Morgen von Lady Millford in
ihrem nun schon gewohnten Befehlston angekündigt worden.
Inzwischen fühlte sich Charlotte nicht mehr angegriffen, wenn
ihre Tante sie so ansprach. Auf diese Weise kommunizierte sie im
Grunde mit allen Menschen auf Millford Hall, ausgenommen ihrem
Gatten, dem gegenüber sie sich mit mehr Zurückhaltung aber
genauso wenig Wärme äußerte. Sie konnte offenbar
nicht anders.
Letztlich
war Charlotte doch überrascht gewesen, dass Lady Millford −
denn schließlich war sie die eigentliche Entscheidungsträgerin
im Hause Millford − sich trotz des eher unschönen Endes
des Balles dazu entschlossen hatte, die Adoption von Charlotte durch
Sir Alistair in Angriff zu nehmen. Allerdings drängte die Zeit,
das sah Charlotte jeden Tag, wenn sie der immer durchsichtiger
werdenden Haut und der bläulich verfärbten Lippen ihres
Onkels gewahr wurde.
Sie
betrat das nun schon vertraute Arbeitszimmer ihres Onkels mit
gewissem Herzklopfen. Sie stand im Begriff, jetzt einen neuen
Abschnitt in ihrem bisherigen Leben einzuläuten. Was würde
dieser für sie bereithalten? Als anerkannte Tochter eines
Baronets eröffneten sich ihr neue Perspektiven, gehörte zum
Millford’schen Besitz doch eine nicht unerhebliche Menge Land
und dazu Besitzungen in Trinidad und Tobago. Natürlich war es
Töchtern nicht möglich, Landbesitz zu erben, das wusste
auch Charlotte. Dieser und der dazugehörige Titel konnten nur
vom Vater auf den Sohn oder, im Fall des Baronats, auch
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