Pflicht und Verlangen
»Zustand« aus der Welt geschafft
werden. Besser, man würde sie selbst samt ihres Zustands aus der
Welt schaffen! Trotzdem tat es ihr wohl, dass sich der treue Domestik
um sie sorgte.
» Danke,
Arthur! Und ja, ich verspreche es, mach dir keine Gedanken.«
Arthur
verneigte sich kurz, ging dann in Richtung des Dienstbotentraktes
davon und ließ sie, nachdem er sie ein letztes Mal mit einem
prüfenden Blick bedacht hatte, auf dem Flur zurück.
Charlotte
blickte auf den Brief in ihrer Hand. Die Handschrift war ihr völlig
unbekannt. Von wem konnte dieses Schreiben sein?
An
Miss Charlotte Brandon auf Millford Hall las
sie, als sie ins Zimmer getreten war und die Kerzen entzündet
hatte. Ihren alten Namen in diesen kräftigen, entschlossenen
Schriftzügen dort geschrieben zu sehen, versetzte ihr einen
schmerzhaften Stich in der Brust. Fast erschrocken ließ sie den
Umschlag in den Schoß sinken. Aber wer, außer den
Bewohnern von Millford Hall wusste auch schon von der vollzogenen
Adoption?
Der
unbekannte Schreiber dieses Briefes jedenfalls wusste es nicht. Jetzt
war sie doch neugierig geworden. Mit einiger Ungeduld brach sie das
Siegel.
London,
16. Dezember 1817
Verehrte
Miss Brandon,
Ich
hoffe, Sie befinden sich wohl und haben die Zeit nach dem Ball gut
verbracht. Ich möchte Ihnen noch einmal sagen, dass es mir eine
außerordentliche Ehre und auch Freude war, nicht nur mit Ihnen
zu tanzen, sondern auch Ihrem Klavierspiel beiwohnen zu dürfen.
Obwohl Sie nicht sehr glücklich zu sein schienen über den
Vorschlag von Mr Terency, hat mich Ihre Virtuosität, mehr aber
noch die Intensität des Gefühls, mit dem Sie diesen
deutschen Komponisten interpretierten, tief bewegt.
Ich
bitte Sie, lassen Sie sich nicht von Menschen beirren, die Sie davon
abhalten wollen! (Leider wurde ich unfreiwillig Zeuge der Worte, die
Lady Wellesley an Sie richtete.)
Menschen
wie Lady Wellesley genügen sich selbst und wissen nichts von der
Sehnsucht der Seele, die einen anderen Menschen vorantreiben kann.
Menschen aber wie Sie, Miss Brandon, können so viel geben.
Lassen Sie nicht nach darin!
Aber
genug davon! Sie werden sich nicht beirren lassen, davon bin ich
überzeugt, nachdem ich nun die Ehre hatte, Sie kennenzulernen.
Nun
zum eigentlichen Grund meines Schreibens:
Es
ist mir gelungen, hier in London den Nachlass Ihres Vaters nach den
Angaben Ihres werten Onkels, Sir Alistair, ausfindig zu machen und
habe den Transport veranlasst. Ich denke, die Kisten werden nach den
Weihnachtstagen, vermutlich schon am 28. Dezember, auf Dullham Manor
eintreffen.
Bitte
machen Sie sich keine Sorgen wegen der Transportkosten. Das alles
habe ich bereits mit Ihrem Onkel geklärt, ebenso, wie ich die
Zustimmung von Lady Millford eingeholt habe, dass Sie Dr. Banning
hier zur Hand gehen dürfen. Leider ist die Fracht jedoch in den
letzten Jahren nicht allzu pfleglich behandelt worden. Ich konnte sie
noch nicht selbst in Augenschein nehmen, hoffe aber, dass der Schaden
nicht allzu groß ist. Ich denke, dass es unter diesen Umständen
sinnvoll wäre, Sie wären bereits auf Dullham Manor, wenn
die Ladung eintrifft, um eine erste Inspektion vorzunehmen und die
Lage zu beurteilen. Schließlich wissen Sie am ehesten über
den ursprünglichen Zustand Bescheid.
Ich
habe hier in London noch geschäftlich zu tun und werde erst am
Tage vor Heiligabend wieder zu Hause eintreffen. Deshalb habe ich
Ihnen nun bereits schriftlich Bescheid gegeben, damit Sie das
Entsprechende veranlassen können. Ich freue mich sehr und bin
gespannt auf die wissenschaftlichen Funde, die Ihr Vater
zusammengetragen hat.
Und
damit verbleibe ich bis zum Tage des Eintreffens Ihrer Schätze
der Vergangenheit
Ihr
John Battingfield
P.S.
Bitte richten Sie auch Sir Alistair und Lady Millford meine besten
Grüße und meinen Dank dafür aus, dass sie Sie einige
Tage entbehren wollen. Ich hoffe, Sir Alistair geht es wieder besser.
Bitte bestellen Sie ihm von mir die besten Genesungswünsche.
Es
ist oft erstaunlich, wie wenige aufrichtige Worte Hoffnung und
Heilung geben können, wo sie im richtigen Moment gesprochen
werden. Dies waren solche Worte und dies war so ein Moment. Captain
Battingfields Zeilen taten ihr unendlich gut und trösteten sie
mehr als sie sagen konnte. Plötzlich merkte sie, dass ihr schon
während sie seinen Brief gelesen hatte die Tränen gekommen
waren, die sie sich seit Tagen verbot. Sie konnte ihnen nichts mehr
entgegensetzen und gab sich ihren Gefühlen
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