Pflicht und Verlangen
sorgsam mit der Fracht
umgehen. Sollte das ebenfalls Mehrkosten erzeugen, komme ich
selbstverständlich dafür auf.«
» Sehr
wohl, Sir. Smith & Lomax wird alles zu Ihrer vollsten
Zufriedenheit erledigen«, beteuerte Mr Smith mit zufriedenem
Lächeln. Nun hatte sein Tag doch noch eine glückliche und
überaus lukrative Wendung genommen.
******
Charlotte
räusperte sich und bemühte sich vergebens, den Sinn des
Abschnittes, den sie eben ihrem Onkel vorgelesen hatte, zu erfassen,
aber es wollte ihr nicht gelingen. Ihre Augen hatten zwar den Text
gelesen und ihr Mund war brav dem gefolgt, was ihm die Worte in der
erbaulichen Lektüre vorgegeben hatten, aber sie konnte sich beim
besten Willen nicht darauf konzentrieren, geschweige denn den
sicherlich wertvollen Gedankengängen des Autors etwas
abgewinnen. Seit Tagen ging das nun schon so. Alles was sie tat, ihr
Denken und Handeln, schien ihr unwirklich und seltsam entfernt, so
als wäre sie unter der spiegelglatten Fläche des
zugefrorenen Teichs im Park eingeschlossen. Eingeschlossen wie die
Fische, die dort auf den Frühling hofften.
Fast
als wäre ich schon tot, dachte es in ihr, während sie
weiter mechanisch Zeile um Zeile wiedergab. Sie erschrak im gleichen
Augenblick über diesen befremdlichen und auf eine beängstigende
Art nicht ihr zugehörigen Gedanken. Was war nur los mit ihr?
Diese lähmende Mutlosigkeit, die sich über sie gelegt hatte
wie ein Leichentuch, kannte sie sonst nicht an sich. Als ihre Eltern
starben, hatte die Trauer sie zwar sehr gequält und ein scharfer
Schmerz in der Brust hatte sie monatelang begleitet, aber sie war
trotzdem mit offenen Augen in ihr neues Leben eingetreten, in das sie
so unmittelbar gezerrt worden war. Der Typhus, dem ihre Eltern
erlegen waren, hatte auch viele andere Menschen getötet. Fast in
jeder Familie des Landstrichs hatte es Todesopfer zu beklagen gegeben
und sie hatte aus dieser Gemeinschaft des Leides auch Kraft bezogen.
Das war der Lauf der Dinge, so war ihr von der orthodox frommen
Bevölkerung, von den mütterlichen Frauen, die sich in der
ersten Zeit um sie gekümmert hatten, immer wieder tröstend
gesagt worden, der unbegreifliche Ratschluss Gottes und wie konnte
der Mensch sich dagegen auflehnen? Man musste es ertragen und
einander Hilfe und Stütze sein wie man eben konnte, so wie Gott
es zu tun gebot.
Aus
diesen Worten hatte sie trotz ihrer Angst und Verzweiflung damals
Kraft geschöpft, auch wenn sie von einfachen Menschen ohne große
Bildung kamen, aber sie hatte gespürt, dass sie eine tiefe
Wahrheit besaßen. Es ergab keinen Sinn, gegen Dinge
aufzubegehren, die nicht zu ändern waren, wie der Tod. Die
Aufgabe der Lebenden war es, einander zu trösten, zu lieben und
zu tun, was getan werden musste, während sie sich dessen bewusst
waren, dass die, die gegangen waren, nur einen Schritt weiter auf sie
warteten.
Seit
jenem Morgen aber, als sie durch ihre Unterschrift ihren Namen aufgab
und die, so schien es für sie, letzte Verbindung zu ihrer
Herkunft, ihren Erinnerungen und damit zu sich selbst kappte, war es
ihr, als hätte sie damit auch allen ihren Lebensmut weggeworfen.
Als sei eine Quelle versiegt, die ihr trotz aller Widrigkeiten und
der Einsamkeit in den letzten Jahren geholfen hatte, weiter
zuversichtlich den Weg der Lebenden zu gehen.
Sie
war nun eine willenlose Marionette in den Händen ihrer Tante
geworden. Was hatte alles Wünschen und alle Wissbegierde, der
Hunger nach der Wahrheit und die Sehnsucht nach der Schönheit,
noch für einen Sinn? Machte es ihrer Umgebung etwas aus, ob sie
glücklich oder unglücklich war? Sie war nichts weiter als
eine Art Möbelstück, das Lady Millford gewinnbringend zu
veräußern gedachte. Was wogen ihre eigenen, ohnehin
unrealistischen Wünsche und Ziele gegen den einzigen Zweck, dem
sie, wie jede Tochter aus gutem Hause, zu dienen hatte − und
dem gerade sie nur so ungenügend dienen konnte?
Warum
gelang es ihr nicht, so zu sein, wie Frauen offensichtlich gewünscht
waren? Warum gab sie sich nicht zufrieden mit der ihr zugedachten
Rolle? Warum verlangte es sie danach, hinter die Dinge zu schauen, zu
verstehen, was die Welt um sie herum vorantrieb? Warum sehnte sie
sich nur immerzu danach, in die Musik einzutauchen, deren Fülle
und Schönheit in sich aufzunehmen und zu durchdringen? Warum war
sie nur so unerträglich anders?
Sie
wünschte sich einmal mehr, diesen fortwährenden Drang nach
befriedigender und erschöpfender Beschäftigung
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