Pflugstein: Kriminalroman (German Edition)
Stand der Ermittlungen. Er bedankt sich bei Kurtz für
die Delegationsverfügung, die es ihm nun erlaubt, Einvernahmen mit möglichen Angeschuldigten
durchzuführen.
12
Es ist gegen zweiundzwanzig Uhr,
als Möller sich zu einer letzten Sitzung mit Pola zusammensetzt. Sie vermerken sämtliche
Informationen auf der Wandtafel. Auch Vermutungen und alles, was sie noch nicht
zuordnen können.
Der tote
Roffler ist zu Lebzeiten ein geselliger Mann mit großem Bekanntenkreis gewesen,
was die Arbeit erheblich erschwert. Noch gibt es mehr Fragezeichen als Fakten. Das
muss sich ändern und zwar schnell, gelobt er sich. Nun wird er Gas geben und unermüdlich
aufklären, bis er die Täterschaft ermittelt hat. Er weiß, wie wichtig es ist, Spekulationen
zu vermeiden, denn falsche Hypothesen führen schnell in die Irre. Er nimmt sich
vor, am nächsten Morgen als Erstes nach Horgen zu fahren, um ausführlich mit der
Frau des Toten zu sprechen.
Danach würde
er sich Rofflers Vorgesetzten und seine Arbeitskollegen vornehmen. Fessler und Pola
werden Rofflers Familie und dessen Freunde befragen. Das Umfeld des Toten muss so
schnell und so gut wie möglich erfasst werden.
Die Verhöre
im Kripo-Gebäude hebt er sich für später auf. Die meisten Morde, und in diesem Fall
ist es Mord, da ist er sich sicher, geschehen im familiären Umkreis.
13
Um Mitternacht stellt Möller fest,
dass die Ermittlung ins Rollen kommt.
Für heute
hat er seine Arbeit getan. Zufrieden macht er sich auf den Heimweg. Er hat es sich
angewöhnt, wann immer möglich zu Fuß nach Hause zu gehen.
Er durchquert
den südlich der Bahngleise zwischen Hauptbahnhof und Bahnhof Hardbrücke gelegenen
Kreis 4, der zu dieser Zeit immer noch belebt ist.
Schon bald
erreicht er die Langstrasse. Eine junge Prostituierte spricht ihn an, doch er winkt
ab. Brasilianerinnen und Afrikanerinnen sind seltener geworden, dafür trifft er
immer häufiger Frauen aus Osteuropa. Als Polizist weiß er nur zu gut, wie brutal
hier der Konkurrenzkampf zwischen den Prostituierten ist.
Trotz Drogenhandel
und Absteigen ist die Langstrasse ein kunterbunter, mit grellen Lichtern überfluteter
Ort, ein Schmelztiegel kultureller Vielfalt, der in der Schweiz seinesgleichen sucht.
An diesem mit Leben erfüllten Platz ist alles ein bisschen weniger sauber und die
Sitten lockerer. Hier isst es sich durch sämtliche internationalen Küchen, ohne
auf die obligate Bratwurst mit Goldbürli verzichten zu müssen.
14
Bei der Bäckeranlage setzt sich
Möller auf eine Bank.
Dieser Zwischenhalt
auf dem Heimweg hat sich zu einem bewährten Ritual entwickelt.
Er liebt
die Dunkelheit. Er liebt es, wenn die Bäume mit dem Schwarz der Nacht verschmelzen.
Gegen Ende der Achtzigerjahre hielten
sich auf der Bäckeranlage zeitweise mehrere Tausend Drogenkonsumenten auf. Dem Park
ist seine harte Vergangenheit jedoch kaum anzusehen. Dennoch weiß jeder in der Gegend,
dass dieser Ort an chronischen Gleichgewichtsstörungen leidet. Zwar zeichnen sich
die Menschen in der Bäcki durch einen besonders toleranten Umgang miteinander
aus, dennoch reguliert sich die Anlage nach wie vor nicht selbst, und es sind immer
wieder Eingriffe durch die Polizei nötig, um eine Monopolisierung durch die Alkoholikerszene
zu verhindern. Auch weiß Möller, dass der Stadtgarten zweimal am Tag von zivilen
Drogenfahndern kontrolliert wird.
Er bleibt so lange auf der Bank
sitzen, bis es in seinem Kopf ruhig wird. Doch kaum kehrt Stille ein, meldet sich
Viktoria zurück. Seit dieser Nacht in Ägypten bekommt er sie nur noch aus dem Kopf,
wenn er konzentriert arbeitet.
Müde steht
er auf und nimmt die letzten zwei Kilometer unter die Füße.
15
Beim Albisriederplatz nimmt Möller
eine Abkürzung und erreicht kurz darauf sein Zuhause, die Siedlung Hardau.
In der Nacht
umgibt eine unheimliche Aura die vier markanten Hochhäuser, die wie riesige Geschwüre
in die Höhe wachsen. Er geht an den zusammengedrückten und zusammengesunkenen Säulenstümpfen
vorbei, die den Außenraum gestalten. Aufgrund ihrer wuchtigen Form und faltigen
Oberfläche werden sie von den Leuten ›Elefantenfüße‹ genannt. Es waren die Zerstörung
der Natur und der Vietnam-Krieg, die den Künstler zu diesen ausnehmend hässlichen
Plastiken inspiriert hatten.
Er wohnt
im höchsten der vier Wohntürme. Bis zur Vollendung des ganz in der Nähe stehenden Prime Towers war sein Wohnblock mit zweiundneunzig Metern Höhe das höchste
Gebäude in
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