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Pforten der Nacht

Titel: Pforten der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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nicht gekommen, sah man einmal von einigen Schlägereien in der Rheinvorstadt ab, die sich auch auf zu heftigen Mostkonsum zurückführen ließen. Trotzdem lag Unheil in der Luft, so schwer und drückend, dass man es beinahe mit Händen greifen konnte.
    Auch die geladenen Gäste schienen es zu spüren, die sich an diesem windigen Novemberabend zum Festmahl im großen Saal eingefunden hatten, nicht gerade die Geschlechter der Birklins, Hardefuchts, Spiegels oder Hirzelins, die noch bei der Hochzeit neugierig ihre Aufwartung gemacht, inzwischen am mittelmäßigen Ältesten jedoch das Interesse verloren hatten. Immerhin aber nicht unbedeutende Abkömmlinge einiger angesehener Familien der Stadt. Sie unterhielten sich leise, fast vorsichtig, als könnte jeden Moment etwas Unvorhergesehenes passieren. Sogar Bela war zur Überraschung ihres Gatten aus ihren Gemächern heruntergekommen, ganz in Schwarz wie eine trauernde Witwe, mit diesem kalten, leblosen Gesicht, das er mehr als alles andere an ihr verabscheute. Dabei zitterten ihre Hände, und das Kinn begann zu beben, wenn sie auch nur für einen Moment ihre Beherrschung vergaß. Sie war eine Trinkerin geworden, nicht viel besser als die Bettlerinnen, die nach der Messe um ein bisschen Fusel barmten.
    Draußen brauste und pfiff es um die Mauern, und selbst der mächtige Kachelofen, der vom Nebenzimmer aus geschürt wurde, wie es der neuesten Mode entsprach, schaffte es nicht, die klamme Kühle ganz zu vertreiben. Umso eifriger wurde gegessen, gebratene Alse, Aalspießchen, so würzig und fett, dass sie das Brot golden färbten, gefüllte Wachteln, Rinderzunge und frische Spanferkel, am Spieß geröstet. Und es wurde getrunken!
    Das erste Weinfass war bereits leer; stirnrunzelnd beobachtete Jan van der Hülst, wie Rutger den Küchenmeister aufforderte, ein neues anzuzapfen.
    »Und schnell, ja! Unsere Gäste werden sonst ungeduldig!«
    Er war noch fetter geworden, noch behäbiger! Zwar hatte er im letzten Jahr einen günstigen Kontrakt mit einem englischen Tuchweberhaus bewerkstelligen können, das so feine Qualitätsware lieferte, wie sie auf dem Kontinent nirgendwo zu bekommen war, aber er ließ sich dies auch als Heldentat heraushängen. Womit hatte er diesen Sohn verdient! Und den anderen dazu, Johannes, der von Tag zu Tag dürrer und frommer wurde, als ob ihm das viele Beten das letzte bisschen Saft und Kraft entziehe. Sein weibischer Gesang heute während der Messe war mehr gewesen, als er eigentlich ertragen konnte. Zum Glück gab es ja noch Felix, der mit hochroten Wangen und lautem Glucksen seinen braunen Welpen um den Tisch herumjagte und trotz aller Bitten und Drohungen nicht daran dachte, sich zu Bett bringen zu lassen.
    Er zog ihn auf seinen Schoß, fütterte ihn mit dem süßen Mandelreis, von dem der Kleine niemals genug bekommen konnte. Felix aß, bis sein kleiner Bauch sich wölbte. Dann machte er sich ungeduldig frei und nahm erneut sein wildes Spiel um die Tischbeine auf. Lief mit den Mägden nach draußen und kam wieder hereingerannt, wenn sie neue Platten mit Gebratenem und Gesottenem servierten.
    »Träumst du schon wieder von deinen Vetteln?«, lallte Bela am anderen Tischende. »Dann geh doch zu ihnen! Worauf wartest du noch? Einen Sohn wie diesen wird dir allerdings keine deiner billigen Huren schenken, das schwöre ich dir!«
    Gelächter brandete gerade in der Tischrunde auf; die meisten schienen ihren Ausfall zum Glück nicht bemerkt zu haben. Veronika aber, die jeden Klatsch liebte, reckte begierig den dürren Hals und machte große Ohren. Am liebsten hätte er ihr einen Tritt in den mageren Hintern versetzt. Sie sah seinen Ausdruck und funkelte unfreundlich zurück. Beide wussten, was sie voneinander zu halten hatten. Die Abneigung zwischen ihnen wuchs von Woche zu Woche. Unaufhaltsam.
    Jan van der Hülst wollte gerade eine Gemeinheit in ihr überhebliches Gesicht schleudern, als der Küchenmeister in den Saal taumelte. Wams und Beinlinge waren blutverschmiert, sein Haar zerwühlt wie nach einer Rauferei.
    »Sie sind draußen im Hof!«, stieß er hervor. »Und wollen das Haus stürmen …« Man hörte lautes Grölen, unterbrochen vom dumpfen Geräusch eines Rammbocks. »Um mit Euch abzurechnen! Weil Ihr sie angeblich betrogen habt. Außerdem haben sie Berge von verdorbenem Fleisch dabei, voller Würmer und Maden …«
    »Was ist geschehen?« Jan van der Hülst erhob sich unwillig. »Ich verstehe kein Wort! Wer soll draußen sein? Kannst du

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