Pforten der Nacht
Keinen Augenblick zweifelte er daran, dass es männlichen Geschlechts sein würde, der Sohn, auf den er gewartet hatte, seitdem er ein Mann war und imstande zu zeugen. Keine fette Memme wie Rutger, sein Ältester, der stets kuschte und bemüht war, seinen Unwillen nicht zu erregen. Aber auch kein weltfremder Träumer wie Johannes, der nach etlichen Fehlgeburten Belas schließlich das Licht der Welt erblickt hatte, als sie schon jede Hoffnung aufgegeben hatten. Damals hatte er vor Freude an seiner Wiege geweint und dem heiligen Severin sogleich ein stattliches Wachsopfer gebracht. Inzwischen aber war sein Zweiter zu einem mürrischen Jugendlichen herangewachsen, trotz all der väterlichen Bemühungen nach wie vor desinteressiert an Seidenballen und Gewürzladungen, voller Trotz und frecher Widerworte.
Seine Enttäuschung über ihn war kaum weniger tief als über den farblosen Erstgeborenen, der keinerlei Anstalten machte, endlich eine eigene Familie zu gründen und ihm die Enkel zu schenken, die das wettmachen konnten, was der Sohn nicht vermocht hatte. Jan van der Hülst verspürte deutliche Erleichterung, Johannes für die nächste Zeit aus den Augen zu haben. Wieso eigentlich nicht gleich auch Rutger fortschicken, zurück nach Spanien, wo er dem Unternehmen wenigstens halbwegs nützlich gewesen war? Dann konnte er frei schalten und walten, ohne unnötige Rücksichten nehmen zu müssen. Denn schon bald würde endlich der van der Hülst geboren werden, den er seit Langem ersehnt hatte. Es schien sich gelohnt zu haben, auf seine Ankunft zu warten, bis die Säfte der Jugend sich in seinen Lenden gesetzt und konzentriert hatten und er endlich diesem prachtvollen Wesen namens Nana begegnet war. Und er wusste auch schon, welchen Namen sein Ungeborener einmal tragen würde: Andreas. Andreas van der Hülst - klang das nicht nach Würde, nach Größe und Macht?
Allein der Gedanke daran erregte ihn erneut. Jan streckte seiner Geliebten gebieterisch die Hand entgegen. Wieso eigentlich nur einen Sohn? Sie war jung und seine männliche Kraft ungebrochen. Sie würden viele Söhne haben - Dutzende!
»Komm endlich her, mein Herz!«, verlangte er. »Was musst du denn die ganze Zeit herumrennen! Leg dich lieber noch ein Weilchen zu mir! Ich muss ohnehin bald zurück zur Ratssitzung ins Bürgerhaus.«
Heute Morgen hatten die fünfzehn Mitglieder des Inneren Rats ein Verdikt erlassen, das den Metzgern ab sofort untersagte, die Blindejohannsgasse weiterhin mit Blut und Unrat zu beschmutzen. Einer von vielen weiteren notwendigen Beschlüssen, die angesichts der steigenden Einwohnerzahl Kölns so bald wie möglich folgen mussten. Höchste Zeit, dass die Stadt endlich aufhörte, wie eine riesige Kloake gen Himmel zu stinken! Jetzt, im Spätwinter, ging es noch an, aber schon die ersten warmen Frühlingstage konnten die rohen Ausdünstungen ins Unerträgliche steigern.
Unwillkürlich schüttelte er sich. Wieso musste er ausgerechnet jetzt daran denken, angesichts von so viel Anmut und Schönheit?
Sie lachte, als hätte sie seine Gedanken erraten, und fuhr damit fort, mit ihren schlanken, weißen Händen Mandeln zu schälen. Susanna Tarlezzo trug das lange Haar offen, in weichen, kupfernen Wellen, wie er es am liebsten hatte, gekrönt von einem kostbaren grünen Perlenhäubchen, das aus Florenz stammte und einen Batzen gekostet hatte. Egal, für sie war nichts teuer und wertvoll genug!
»Wenn es nach dir ginge, mio dio del bosco, käme ich wohl tagelang nicht mehr aus dem Bett«, sagte sie. Er liebte den treffsicheren, oftmals spöttischen Dialekt ihrer Heimatstadt Venedig, in dem sie sich meistens unterhielten, obwohl sie seine Sprache inzwischen verblüffend schnell gelernt hatte. »Möchtest du vielleicht, dass ich bei lebendigem Leibe in den Federn verfaule und wie ein Fisch vom Kopf an zu stinken beginne?«
Überraschend schnell für sein Alter schoss er nach vorn, packte sie bei den Handgelenken und zog sie zu sich. Er schätzte ihr loses Mundwerk, besonders, wenn sie beim Liebesakt derbe, kräftige Ausdrücke benutzte und nicht mit Zoten geizte. »Dazu wirst du keine Zeit haben, fürchte ich«, flüsterte er rau. Seine Hände zerrten ungeduldig an den Bändern, die ihr Kleid verschlossen. »Ich will dich. Und zwar jetzt!«
»Vorsicht, carino ! Du wirst das schöne Kleid gleich ruiniert haben.« Ihr Atem ging schneller. Ihr Mund war halb geöffnet. Sie nuckelte an seinem Ohrläppchen. Ihre wissenden Hände an seinem Latz
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