Pforten der Nacht
würden, lag im Kronengässchen, keinen Steinwurf entfernt von dem Haus in der Kaufhausgasse, das er mit Bela und den Söhnen bewohnte.
Er fror und zog den Umhang enger, obwohl der Regen für kurze Zeit aufgehört hatte und sich zögernd sogar eine blasse Februarsonne am Himmel zeigte. Gegen Westen aber ballten sich schon wieder neue graue Wolkentürme zusammen, was gut zu seiner jämmerlichen seelischen und körperlichen Verfassung passte. Elend fühlte er sich, wie ausgehöhlt. Längst bereute er, den Mittagstisch so abrupt verlassen zu haben und damit auch das gefüllte Spanferkel mit Speckklößen und süßem Erbsenbrei. Aber er konnte das selbstgefällige Gesicht seines Vaters, Rutgers genüssliches Schmatzen und Belas Leidensmiene keinen einzigen Augenblick länger ertragen! Im Keller hatte er sich versteckt, bis Jan van der Hülst, aufgeputzt wie ein Pfingstochse, das Haus verlassen hatte, und war ihm bis hierher gefolgt.
Seitdem waren Stunden vergangen. Nicht mehr lange, und es würde dunkel werden. Wahrscheinlich hatte sein Vater der rotblonden Hure inzwischen nicht nur ein-, sondern viele Male beigelegen. Um ihr, vor allem aber sich selber zu beweisen, was er für ein Kerl war. Ob sie ihm Mittelchen verabreichte, damit seine Lenden nicht frühzeitig erlahmten? Flüsterte sie ihm Anzügliches ins Ohr, während er sie umarmte, um die Leidenschaft zu steigern? Oder ließ sie ihn willenlos gewähren, damit er mit seiner Manneskraft vor ihr protzen konnte?
Wider Willen erregten ihn diese Vorstellungen, die plötzlich sehr viel intensiver waren als die Erinnerung an Annas zarten Duft und den vorsichtigen Druck ihrer warmen Schenkel an seinen. Plötzlich sehnte er sich danach, an der Stelle seines Vaters zu sein, die Welsche in den Armen zu halten, ihre Lippen auf seiner Haut zu spüren, ihre Hände, ihren glatten, heißen Leib, der schmelzen würde, während sie sich ihm gierig entgegenbäumte …
Ein Trugbild des Teufels, nichts weiter. Johannes wusste zu genau, wer allein solche Verlockungen sandte. Er spuckte aus. Sogar sein Speichel schmeckte auf einmal bitter. Wieso stand er seit Stunden hier herum wie ein Hund, der geduldig auf seinen Herrn wartet? Um seinem Vater ins Gesicht zu sagen, dass er alles wusste? Oder ihm damit zu drohen, es in die Welt hineinzuschreien, falls er nicht doch seine Meinung änderte und ihn hierbleiben ließ?
Und was dann? Was, wenn er wirklich nicht fort musste?
Tag für Tag zusammen mit Rutger ins Kontor, um Fässer zu kontrollieren, Säcke zu registrieren und die Papiere für die Lastkähne zu überwachen? Um auf Messen über Preise zu feilschen und Konkurrenten mit Tücken und Finessen hinters Licht zu führen? Um schließlich Münzen zu zählen und Wechsel einzulösen, wie sie im Zahlungsverkehr immer üblicher wurden?
Was du in deine Hände nimmst, das nimmst du auch in dein Herz. Johannes war auf einmal, als hörte er in seinem Ohr die warme, gütige Stimme des Heiligen, der sich von aller weltlichen Habe lossagte, nachdem Jesus ihn erwählt hatte. Sein Herz wurde ganz heiß. Nein, er war wie einst Franziskus nicht zum Kaufmann geboren und durfte niemals einer werden!
Abermals wurde ein Fenster geöffnet. Das Erste, was er sah, war ein Schwall lohfarbenen Haars, dann einen weißen, schlanken Arm, der eine unbestimmte Bewegung machte. Winkte sie etwa ihm? Zu verdutzt, um sich zu verstecken, blieb Johannes wie angewurzelt stehen.
Der Gruß wiederholte sich. Dann das Schnauben eines Rosses, dicht hinter ihm. Überrascht schaute sich Johannes um. Im gleichen Augenblick erkannte er, dass das Zeichen nicht ihm gegolten hatte, sondern dem mittelgroßen, schlanken Mann, der eben vom Pferd stieg und zurückwinkte. Er kannte ihn genau. Es war Datini, der Lombarde mit den seltsamen goldenen Augen, der bei der Vermittlung seines Lehrvertrags die Hände im Spiel gehabt hatte. Mit großen, selbstsicheren Schritten strebte er dem Eingang zu, betätigte die Löwenpfote und war schon im Haus verschwunden.
Johannes spürte die Kälte in allen Knochen. Ohne genau sagen zu können, weshalb, wusste er auf einmal, dass er vergeblich gewartet hatte. Sein Vater musste das Liebesnest durch einen zweiten Ausgang unbemerkt verlassen haben. Somit war er abermals genarrt. Vermutlich hätte Jan van der Hülst ohnehin nicht einmal ein spöttisches Lächeln für all die kindischen Drohungen seines Sohnes übrig gehabt, sondern das Gesicht in jener unnachahmlichen Mischung aus Abscheu und
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