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Phantasmen (German Edition)

Phantasmen (German Edition)

Titel: Phantasmen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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dem die Steuerungszentrale der Solaranlage untergebracht sein musste. »Es gibt sicher noch einen zweiten Weg, eine Treppe oder einen Personenlift.«
    »Wie viele von denen sind wohl noch übrig?«, flüsterte ich.
    »Viele können es nicht mehr sein«, sagte Tyler.
    Ich verkniff mir die Bemerkung, dass ein einziges dieser Sturmgewehre ausreichte, um uns aufzuhalten.
    Wir umrundeten die Halle in weitem Bogen zwischen den Solarmodulen und gelangten an ihre Rückseite. Ein Stück entfernt standen die beiden Hubschrauber. In einem Cockpit saß ein Pilot und hantierte an seiner Konsole. Er war zu beschäftigt, um uns zu bemerken. Der andere Helikopter war verlassen.
    Tyler lief voraus zu einer Hintertür. Sie war nicht abgeschlossen. Wahrscheinlich hatten die Angestellten die Anlage Hals über Kopf verlassen. Wir gelangten in einen Korridor, passierten den Durchgang zu einer menschenleeren Schaltzentrale und fanden am Ende eines Seitengangs eine Metalltür, die mit Gewalt geöffnet worden war; rund um ein kopfgroßes Loch in Höhe des Schlosses waren die Spuren eines Schneidbrenners zu erkennen. Dahinter lag ein Treppenhaus. Aus der Tiefe war Lärm zu hören und hallte geisterhaft zwischen den kahlen Wänden.
    Die Stufen führten tiefer nach unten, als ich erwartet hatte. Neonröhren knisterten an den Wänden, manche flackerten, einige waren längst ausgefallen. Wir schlichen durch ein zuckendes Raster aus Licht und Schatten, und einige Male blieben wir stehen, weil es klang, als wären wir nicht allein im Treppenhaus. Aber niemand tauchte auf, und bald wurde uns klar, dass es nur die verzerrten Laute aus der Hot Suite waren, die uns zum Narren hielten.
    Der Höhenunterschied zwischen der Oberfläche und dem unteren Ende der Treppe betrug fünf Etagen. Aber es gab unterwegs keine Türen, nur grauen Beton, auf dem an manchen Stellen Wolkenmuster aus getrockneter Feuchtigkeit entstanden waren. Ich hielt die weißen Ränder für Kalk, doch Tyler kratzte mit dem Fingernagel daran, führte ihn an die Lippen und raunte: »Salz!«
    »Diese ganze Wüste war früher mal der Grund eines Ozeans«, dozierte Emma im Flüsterton. »An manchen Stellen gibt es noch unterirdische Salzwasserreservoirs. Außerdem sind hier überall Höhlen. Einige davon wurden zuletzt als –«
    »Erklär uns das später«, unterbrach Tyler sie. »Falls es dann noch wichtig ist.«
    Emma blickte zu mir und ich nickte. »Nicht jetzt.«
    Als ihr Smartphone während der Fahrt noch ein Signal empfangen hatte, hatte Emma das Netz nach Informationen über die Gegenden abgesucht, durch die wir gekommen waren. Einmal hatte sie eine Liste mit Filmen entdeckt, die in der Desierto de Tabernas gedreht worden waren. Nachdem sie zwei Dutzend Titel vorgelesen hatte, hatte ich ihr gedroht, sie aus dem Auto zu werfen, falls sie den Rest nicht für sich behielt. Die übrigen hatte sie daraufhin lautlos gelesen und dabei nur die Lippen bewegt. Zum Schluss waren es wohl einige Hundert gewesen, und ich war sicher, dass sie die meisten aus dem Stegreif hätte aufsagen können.
    Die Stufen endeten vor einer weiteren Stahltür. Auch sie war mit einem Schweißbrenner geöffnet worden. Ich ging vor dem Loch in die Hocke und blickte hindurch.
    Auf der anderen Seite lag eine Asphaltfläche, so groß wie der Parkplatz eines Einkaufszentrums. Etwa dreißig Meter entfernt erhob sich eine graue Wand, die Front eines fensterlosen Gebäudes mit Flachdach mitten in der gigantischen Höhle; von hier aus konnte ich nicht erkennen, wie tief es sich ins Innere der Grotte erstreckte. Die Felsdecke war unbehauen. Strahler waren dort oben angebracht worden und tauchten die Szenerie in ein unwirkliches, eisiges Licht. Irgendwo wummerten Generatoren.
    Havens Konvoi parkte vor dem unterirdischen Bau. Ich zählte sechs Fahrzeuge, darunter drei Transporter. Die Kühler wiesen zu uns, die Ladeöffnungen zu der grauen Fassade. Dahinter bewegten sich Männer in schwarzen Lionheart-Overalls und verluden etwas, das ich nicht erkennen konnte, weil die Wagen die Sicht verdeckten.
    »Lass mich mal sehen«, sagte Tyler.
    Ich machte Platz und beobachtete ihn, während er die Anlage durch die Öffnung in der Tür inspizierte. Er wirkte jetzt noch angespannter als zuvor. Seine Augen waren tiefer in die Höhlen gesunken und hatten dunkle Ränder. Sein Gesicht war schmutzig, das dichte Haar hing ihm wirr in die Stirn. Ich selbst sah gewiss nicht besser aus. Meine Dreadlocks stanken nach Asche und waren eher grau als

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