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Phantasmen (German Edition)

Phantasmen (German Edition)

Titel: Phantasmen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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wir in die Gegenrichtung, ein Hindernislauf gegen die Zeit. Den Gang hinunter, eine Treppe hinauf, dort durch ein weiteres unterirdisches Stockwerk. Körper überall. Noch mehr offene Türen und Säle, aber keiner der Durchgänge war so verstopft wie der eine, der uns so lange aufgehalten hatte.
    Dann wurde der Leichenteppich wieder dichter, ein Anzeichen dafür, dass wir uns dem Ausgang näherten. Bald kletterten wir wieder, erst noch aufrecht, dann auf allen vieren, und schließlich rief Emma: »Ich kann es sehen!«
    Ein schmaler Streifen Finsternis über Köpfen und Gliedern, dann mit einem Mal ein Luftzug, der den Gestank erträglicher machte. Wir wurden noch schneller, Tyler jetzt mit schmerzverzerrtem Gesicht.
    Zuletzt dünnte sich der Körperstrom aus. Vor uns erhob sich ein schwarzes Rechteck wie eine Mauer, und erst nach einem Moment wurde mir klar, dass es draußen hell sein musste. Durch das Infrarotgerät wurde das Tageslicht zur Nacht, wir stolperten geradewegs in ein Fotonegativ.
    Wir liefen an all jenen vorbei, die auf den letzten Metern gestorben waren, und ich dachte, selbst wenn es jetzt losginge, wenn sie alle zu lächeln begännen, dann würden wir überleben, weil wir es gleich geschafft hatten.
    Tyler und ich lachten und weinten, als wir ins Freie rannten, während Emma keine Miene verzog. Wir rissen uns die Nachtsichtmasken herunter, wurden vom Sonnenaufgang geblendet, liefen aber weiter, an den Toten in der Nähe des Ausgangs vorbei, passierten eine ehemalige Militärsperre, dann eine zweite und erreichten einen großen Parkplatz. Dort waren wir endlich weit genug von den Geistern entfernt, unter freiem Himmel, weit weg von den Bunkergängen, den grauenvollen Sälen, in denen bis gestern das Sterben Tausender beschleunigt worden war.
    Auf dem Parkplatz waren zwei Autos ineinandergekracht, aber darin saß niemand mehr. Nirgendwo eine Menschenseele, auch keine Geister. Ich schaute über die Schulter zurück zum Eingang. Gleißendes Licht strahlte heraus, hell wie die Scheinwerfer in einem Sportstadion.
    Dass die beiden anderen stehen geblieben waren, bemerkte ich erst nach einem Augenblick. Ich folgte ihren Blicken zum Ende des Parkplatzes.
    In der Einfahrt, neben einem Wächterhäuschen, stand ein schwarzer Geländewagen.

26.
    Wir näherten uns dem Wagen von der Beifahrerseite. Durch die Fenster konnte ich erkennen, dass die Fahrertür offen stand. Niemand war zu sehen.
    Das Gelände vor dem Tor des Sterbehauses war von einer hohen Betonmauer umgeben. Die Befestigung dieser Anlage verriet ihre militärische Vergangenheit, ein Erbe der Franco-Diktatur, das in den Monaten nach Tag null eine neue Bestimmung gefunden hatte.
    Der Geländewagen stand am Rand der Einfahrt, ohne den Weg zu blockieren. Im Näherkommen suchte ich nach dem stilisierten Löwenschädel wie auf den Uniformen von Havens Männern, fand ihn jedoch nirgends.
    Tyler humpelte noch immer, wenn auch nicht mehr so stark wie unten in den Gängen. Der Gestank des Todes war uns ins Freie gefolgt. Er musste in unserer Kleidung hängen und im Haar.
    Kurz bevor wir den schwarzen SUV erreichten, schob ich mich vor Emma. Auch die Tür des Wächterhäuschens war geöffnet, ein Stuhl im Inneren umgekippt. Jemand hatte es in großer Eile verlassen.
    Tyler umrundete das Heck des Wagens, Emma und ich gingen vorn herum. Das Fahrzeug war leer. Nach einem Moment nervöser Stille gab Tyler Entwarnung.
    »Der gehört nicht zu Haven«, sagte er. »Hier hinten ist ein Aufkleber …« Er las etwas Spanisches vor, aber das einzige Wort, das ich verstand, war Seguridad .
    »Eine Sicherheitsfirma?«
    Er nickte. »Ein privates Unternehmen, das sie hier als Wachschutz eingesetzt haben.«
    Emma blickte zurück zum Tunneleingang. »Die müssen dort reingelaufen sein, um nachzusehen, was los ist. Und sind nicht mehr zurückgekommen.«
    Der Schlüssel steckte nicht im Schloss. Tyler ging hinüber ins Wachhäuschen und tauchte nach wenigen Sekunden mit einem klimpernden Schlüsselbund auf.
    »Wer fährt?«, fragte ich mit einem Blick auf sein verletztes Bein.
    Er glitt hinters Steuer. »Das geht schon.«
    Tatsächlich war ich ganz froh, dass er den Anfang machte. Emma nahm die Rückbank, ich sank in den Beifahrersitz. Der Wagen roch nach kaltem Zigarettenrauch. Als Tyler den Motor startete, zeigte das Display einen drei viertel vollen Tank an. Ich schaute ins Handschuhfach. Dort lagen nur eine zusammengerollte Zeitung vom Vortag und eine Dose Red Bull.
    Aus den

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