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Phantasmen (German Edition)

Phantasmen (German Edition)

Titel: Phantasmen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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drin.«
    Sie nickte, machte aber keine Anstalten, die Dose zu öffnen.
    »Oben in den Bergen gibt es Dörfer«, sagte Tyler. »Da finden wir bestimmt was zu essen.«
    »In Dörfern, in denen die Menschen seit eh und je zu Hause sterben?« Ich blickte die Hänge hinauf, sah aber kein einziges Haus in der ockerbraunen Ödnis. »Da wird’s nur so wimmeln von Geistern. Eigentlich müssten die Chancen an Raststätten und Tankstellen besser sein. Wenn sich die Leute da nicht für ein paar Kaugummis die Schädel eingeschlagen haben, dürfte es dort einigermaßen sicher sein.«
    »Natürlich haben sie das.« Emma klang abwesend, ganz verloren in ihren Gedanken. »Die Geschäfte werden geplündert sein. Und die, die es nicht sind, werden von irgendwelchen Leuten bewacht, die sie verteidigen und auf alles schießen, was sich bewegt.«
    »Was ist mit der Polizei?«, fragte ich. »Und der Armee? Das alles hört doch nicht in vierundzwanzig Stunden auf zu existieren.«
    »Die werden was anderes zu tun haben, als Tankstellen zu bewachen«, sagte Tyler. »Falls sie überhaupt noch aus den Städten und Kasernen herausgekommen sind.«
    Zum ersten Mal überkam mich eine Verzweiflung, die über unsere eigene Situation hinausging. Hier, an dieser Straßengabelung im Nirgendwo, begann mir zu dämmern, was wirklich geschehen war. All das Grauen fühlte sich auf einen Schlag viel realer an, nun, da wir gezwungen waren, uns mit unserer Zukunft auseinanderzusetzen.
    Ich nahm mich zusammen und sah über die Schulter zu Emma. »Was würdest du als Nächstes tun?«
    »Ich wüsste gern, wie es in den Städten an der Küste aussieht. Solange man es nicht im Fernsehen sieht, fühlt sich alles so unwirklich an.«
    Ich überlegte kurz, ob sie doch noch die Ironie für sich entdeckt hatte, aber dann wurde mir klar, dass sie es ernst meinte. Der Weltuntergang wurde nicht im Fernsehen übertragen, also mussten wir wohl oder übel selbst einen Blick darauf werfen.
    »Wenn ich du wäre«, sagte sie zu Tyler, »würde ich ebenfalls zur Küste fahren, um herauszufinden, ob es noch Flugzeuge nach Amerika gibt. Gibt es bestimmt nicht mehr, aber wahrscheinlich schläfst du schlecht, wenn du es nicht mit eigenen Augen gesehen hast. Außerdem würde ich bei uns bleiben, also ich als du, weil wir nett sind und dich nicht wegen eines Schokoriegels erschießen werden. Anders als eine Menge Leute da draußen.«
    Tyler brummte etwas vor sich hin.
    »Abgesehen davon würde meine Schwester sich darüber freuen«, sagte Emma, »weil sie nämlich nicht verstehen kann, dass du jemandem nachläufst, der sterben wollte und wahrscheinlich längst tot ist, obwohl sie dich doch mag und –«
    »Emma!«
    Sie hob eine Augenbraue. »Ist doch so.«
    Ich wandte mich an Tyler. »Sie erfindet das.«
    Er nickte. »Natürlich.«
    Emma öffnete die Dose. »Jemand Durst?«
    »Nein«, sagten Tyler und ich wie aus einem Mund.
    Während sie trank, überlegte ich, wie ich aus dieser Sache herauskäme. Tyler stellte den Motor ab, sah noch einmal in alle Richtungen und lehnte sich im Sitz zurück.
    »Ich hab zwei Jahre an der Black Shadow rumgeschraubt, um sie wieder auf Vordermann zu bringen«, sagte er, »und jetzt liegt sie da oben am blauen Haus. Ich bin quer durch Europa gefahren, von Oslo aus durch Schweden und Dänemark, dann durch Deutschland, Italien, Kroatien, schließlich rüber Richtung Frankreich und hierher nach Spanien. Ich hab mich mit Gelegenheitsjobs über Wasser gehalten, meistens in irgendwelchen Werkstätten, wo sie mir erlaubt haben, nachts an meinem Motorrad zu arbeiten. Und während der ganzen Zeit – bis vor ein paar Wochen – war ich ganz sicher, dass Flavie in diesem Flugzeug gestorben ist.«
    Ich hörte schweigend zu und auch Emma setzte wortlos die Dose ab.
    »Ich konnte nie lange an einem Ort bleiben. Sobald ich anfing, mich an irgendwas zu gewöhnen, kamen die Erinnerungen zehnmal schlimmer zurück als vorher. Alles, was neu war, hat mich erst mal abgelenkt, aber sobald ich etwas kannte – die Umgebung oder einzelne Menschen –, wurden sie zu einer Art Leinwand, auf der wieder Bilder von Flavie erschienen, Augenblicke mit ihr, Gefühle, die mit ihr zu tun hatten, sogar Gerüche und der Geschmack von dem Kuchen, den sie mal gebacken hat. Ich hab das nicht ausgehalten und musste weiterziehen, an neue Orte, zu neuen Leuten. Ich musste ständig in Bewegung bleiben, und am besten war es auf der Straße, unter freiem Himmel. Nach Flavies Tod hatte ich

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