Phantastische Weihnachten: 24 Geschichten zum Weihnachtsfest (German Edition)
Rute bekommt. Ist das endlich erledigt, und diese Aufgabe beansprucht wirklich eine hohe Anzahl meiner kostbaren Tage, 216 um genau zu sein, beginne ich damit, die Wunschzettel der Kinder zu lesen. Die bekomme ich übrigens nicht nur kurz vor Weihnachten, sondern sie kommen das ganze Jahr über hereingeflattert.
Das Problem ist aber nicht, dass sie sich hier immer schon so zeitig ansammeln, sondern eher, dass die Wünsche von Jahr zu Jahr immer unerfüllbarer werden. Einfaches Holzspielzeug will keiner mehr, Amazon, eBay und Ikea sind längst zu meinen besten Freunden geworden, sonst hätte ich ja gar keine Chance mehr, die ausgefallenen Wünsche der Kinder zu erfüllen.
Da ist es schon eine Überraschung, wenn man einen Wunschzettel bekommt, den man zur Abwechslung mal leicht erfüllen kann. Schon komische Dinge, die sich dieser Junge hier wünscht. Ein Metallrohr? Zucker? Blumendünger und Nägel? Hört sich ja eher wie die Einkaufsliste für einen Baumarkt an, aber der Kleine ist immer brav und ordentlich, macht seinen Eltern nie Kummer, räumt sein Zimmer auf und erledigt seine Schulaufgaben gewissenhaft, nur Freunde hat er keine, das macht mir ein bisschen Sorgen. Auf jeden Fall war er dieses Jahr ein artiges Kind und bekommt deshalb auch das was er sich gewünscht hat.
Vielleicht will er ja etwas basteln, künstlerisch begabt ist er jedenfalls, denn er hat mir sogar ein Bild gemalt. Wirklich sehr hübsch, eine Weihnachtskugel mit einem Faden dran, an dem ein Stern hängt, ich mag es sehr, wenn die Kinder mir etwas malen. Ich werde mal sehen, dass der Junge Freude an seinen Bastelsachen hat, vielleicht finde ich ja ein Rohr in einer tollen Farbe. Der wird sich freuen… das wird ein Knaller!
19. Dezember
Dinge zwischen Himmel und Erde
von Johanna Marthens
Es begann wie jedes Jahr mit einem langgezogenen Schrei. Ich hätte nie gedacht, dass mir ein Geräusch einmal so durch Mark und Bein gehen würde. Der Schrei fing laut und kreischend an, bis er leicht abflaute und zu einem erbärmlichen Wimmern wurde.
„War es das?“, fragte ich atemlos. Ich muss zugeben, dass mir in diesem Moment alle Haare zu Berge standen. Es klang einfach zu schrecklich.
„Ja, das war es“, sagte Holm Helgard, der Hausherr.
„Und dass es ein Fehler im Heizungssystem ist?“, wollte ich wissen.
Er schüttelte den Kopf. „Haben wir alles überprüft. Das ganze Haus haben wir auf den Kopf gestellt. Wir haben vor drei Jahren sogar einen Geräuschexperten kommen lassen. Es ist definitiv ein menschlicher Schrei.“
„Ein Nachbar mit makabrem Humor?“ Ich ließ nicht locker. Es musste doch eine logische Erklärung für das Phänomen geben.
Wieder Kopfschütteln. „Wir haben rund ums Haus Videokameras aufgestellt. Niemand kam, niemand ging, nur unsere Familie.“
„Und die war es nicht. Auch die Kinder nicht?“
„Nein!“ Die beiden Kinder, Sally und Robbie, riefen fast im Gleichklang entsetzt aus. „Wir machen es nicht! Wie auch – wir sitzen doch hier.“
Damit hatten sie Recht. Der Schrei, der vor wenigen Minuten noch durch das alte Haus gehallt war, konnte nicht von ihnen stammen, denn sie hatten direkt neben mir gesessen.
„Dann weiß ich auch nicht.“ Ich gab auf. Eigentlich wollte ich nicht so einfach kleinbeigeben. Ich brauchte eine gute Story für meine Zeitung, daher war ich bei den Helgards gelandet. Sie bewohnten seit einigen Jahren eine alte Villa und behaupteten, dass es darin spukte. Jedes Jahr zur Weihnachtszeit würden Schreie durch das Haus hallen, außerdem sei eine weiße Erscheinung gesichtet worden. Sie hatten sogar schon einmal versucht, mit einem Geisterjäger in Kontakt zu treten, aber das war wohl im Sande verlaufen. Niemand glaubte ihnen – ich auch nicht, ehrlich gesagt. Aber der Schrei eben hatte wirklich ziemlich eindrucksvoll geklungen. Viele Jahre waren die Helgards zur Weihnachtszeit in den Urlaub geflüchtet, um dem Spuk zu entgehen, aber inzwischen hätten sie sich daran gewöhnt, meinten sie. Niemand käme zu Schaden, und nach Weihnachten sei sowieso alles wieder wie gehabt. Doch auch sie waren an einer Aufklärung mehr als interessiert, weshalb sie mir gestatteten, Weihnachten mit ihnen und dem Geist zu verbringen
Weihnachtsspuk eignete sich hervorragend dafür, meine Leser an die Zeitung zu fesseln. Noch besser hätte ich es allerdings gefunden, wenn sich ein Schuldiger oder eine logische Erklärung finden ließe. Aber bisher ließen die noch auf sich warten.
„Wann kommt die
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