Phantom der Lüste
Enjolras. Er lautet Louis Lamont. Vielleicht sagt dir dieser Name etwas. Er wurde zum Tode verurteilt, weil er mit dunklen Kräften im Bunde war. Auch das hat er gestanden, nachdem er den Tod von der Jugendfreundin seiner Majestät, Maria Héroard, und deren Kind zu verantworten hatte. Das alles ist aktenkundig! Also halte dich zurück und mische dich nicht in die Angelegenheiten, von denen du nichts verstehst!“
Mit diesen Worten knallte Sebastien die Tür hinter sich zu und Jean warf eine Vase nach ihm, die gegen die Wand flog und zerschellte. Nein! Das war niemals wahr! Enjolras war nicht dieser Lamont! Er war kein Mörder. Er hatte ein viel zu gutes Herz! Sein Leben hatte er den Kranken gewidmet. Er war Heiler, kein Hexer. Heiße Tränen rannen über seine Wangen. Rasch kletterte er aus seinem Bett und suchte nach seiner Hose.
„Was habt Ihr vor, Jean?“, fragte Francoise.
„Das geht Euch nichts an.“
„Ihr wollt fliehen? Ein zweites Mal? Schlagt Euch das aus dem Kopf. Euer Vater hat Wachen vor Eurem Zimmer und unter Eurem Fenster postiert.“
„Das ist nicht Euer Ernst.“
„Doch. Er war schlau genug.“ Francoise lächelte, doch es war ein mitfühlendes Lächeln.
Jean würdigte sie keines Blickes mehr und Francoise versuchte vergeblich, seine Aufmerksamkeit zu erregen. Doch er war so kalt wie ein Stein.
„Jean, freut Ihr Euch denn nicht, dass wir bald heiraten werden?“
Sein Blick ruckte zu ihr herum und seine Augen schienen aus Eis zu bestehen. Ihre eisigen Funken trafen Francoise direkt ins Herz. Schlimmer, als es jedes Wort vermocht hätte.
„Wann begreift Ihr es endlich, Francoise? Ich liebe Euch nicht“, sagte Jean und zerriss ihr Herz endgültig.
Francoise taumelte zurück, als wäre ihre Brust von einem Degen durchbohrt worden. Ihr schwindelte und sie musste sich an der Lehne eines Stuhls abstützen, um nicht zu Boden zu stürzen. Wie konnte er so grausam sein? Wo sie ihn doch in ihre Gebete eingeschlossen hatte. Jeden Abend. Gehofft und gebangt hatte sie, den Herrgott angefleht, er möge ihr Jean zurückschicken. Aber dann erinnerte sie sich an das Gemälde über seinem Bett, das jetzt wieder die Landschaft zeigte. Auf der Rückseite war das Bild eines Mannes, der ihrem BruderSebastien bis aufs Haar glich. Schon damals, als sie es entdeckt hatte, hatte sie die richtigen Schlüsse gezogen. Und Jean bestätigte einmal mehr, dass er sie niemals würde lieben können.
Francoise hatte das Gefühl, zu vergehen. Sie konnte nicht länger in seiner Nähe bleiben. Tränen stiegen in ihre Augen, verwischten ihre Sicht. Benommen taumelte sie zu der Tür, riss sie auf und rief: „Leb wohl, Jean“, ohne ihn noch einmal anzusehen. Dann stürmte sie den Flur hinunter bis zu ihrem Gästezimmer.
Unterwegs traf sie Maman, die ihr ins Gemach folgte. „Kind, was ist denn geschehen? Du bist ja ganz blass.“
Aber Francoise wollte jetzt nicht reden. Sie warf sich aufs Bett und drückte ihr Gesicht in das weiche Kissen. Maman setzte sich neben sie, tröstete sie und streichelte ihren Rücken, wie sie es früher immer getan hatte, wenn Francoise Kummer gehabt oder sich ein Knie aufgeschlagen hatte.
„Weine dich aus“, flüsterte Maman und kraulte ihre Haare.
Francoise schluchzte, verfluchte Jean, wünschte, er hätte ihr Herz niemals gefangen genommen und schluckte ihre Wut hinunter. Langsam richtete sie auf, wischte sich die Tränen aus den Augen und strich ihre Locken zurück.
„Willst du es mir jetzt sagen?“
„Es wird keine Hochzeit geben, Maman.“
„Was? Aber du hattest dich doch so gefreut.“
Der Kloß in ihrem Hals erstickte fast ihre Worte. Langsam schüttelte sie den Kopf. „Jean und ich haben darüber gesprochen und wir sind uns einig. Wir wollen keine Heirat ohne Liebe.“
„Liebe muss manchmal erst wachsen.“
„In unserem Fall ist es anders, Maman. Wir sind nur … Freunde. Bitte zwingt mich nicht in eine unglückliche Ehe.“
Maman sah sie mitfühlend an, nahm sie in die Arme und küsste ihre Schläfe. „Natürlich tun wir das nicht.“
Diese Worte waren keine Selbstverständlichkeit, und das wusste Francoise. Viele Ehen in ihren Kreisen wurden aus politischen Gründen geschlossen. Aber Maman und Papa lag ihr Glück weit mehr am Herzen. Sie war dankbar für ihre Großzügigkeit.
„Ich möchte noch ein wenig allein sein, Maman.“
„Natürlich, mein Liebling.“ Sie strich über ihre Wange und ging.
Francoise legte sich hin und starrte zur Decke hinauf. So
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