Phantom des Alexander Wolf
leicht und ungezwungen zumute. Ich fragte sie nach verschiedenen Dingen, die sie persönlich betrafen. Sie sagte, ihr Familienname sei Armstrong, unlängst sei ihr Mann gestorben, sie lebe in Paris allein.
»Ihr Mann war…?«
Sie erwiderte, er sei Amerikaner gewesen, Ingenieur, in den letzten beiden Jahren habe sie ihn nicht gesehen, denn sie war in Europa, er blieb in Amerika. Sie hatte sich in London befunden, als sie das Telegramm von seinem plötzlichen Ableben erhielt.
»Sie haben keinen amerikanischen Akzent«, sagte ich. »Ihr Akzent ist neutral ausländisch, falls man das so sagen kann.«
Erneut lächelte sie dieses Lächeln, das jedesmal überraschend wirkte, und erwiderte, sie sei Russin. Ich wäre fast vom Stuhl aufgesprungen – und bis heute weiß ich nicht, warum mir das damals so erstaunlich erschien.
»Ihnen kam nicht der Verdacht, dass Sie es mit einer Landsmännin zu tun haben?«
Sie sprach nun ein völlig einwandfreies Russisch.
»Sie müssen zugeben, das war schwerlich zu vermuten.«
»Ich hingegen wusste, dass Sie Russe sind.«
»Da verneige ich mich vor Ihrem Scharfblick. Woher, wenn es kein Geheimnis ist?«
»Aufgrund Ihrer Augen«, meinte sie spöttisch. Dann zuckte sie die Schultern und fügte hinzu:
»Weil aus Ihrer Manteltasche eine russische Zeitung ragte.«
Es war schon nach ein Uhr nachts. Ich bot ihr an, sie nach Hause zu bringen. Sie erwiderte, dass sie allein fahren würde, dass sie mich nicht behelligen wolle.
»Sie werden bestimmt von Ihren beruflichen Verpflichtungen gerufen, nicht wahr?«
»Ja, ich muss den Bericht über den Boxkampf abliefern.«
Ich fasste den festen Entschluss, sie nicht zu fragen, wo sie wohne, und keine neue Begegnung mit ihr zu suchen. Wir gingen zusammen hinaus, ich brachte sie zu einem Taxi und sagte:
»Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht, alles Gute.«
Sie streckte mir die Hand entgegen, auf die ein paar Regentropfen fielen, und erwiderte nach einem letzten Lächeln:
»Gute Nacht.«
Ich weiß nicht, ob es tatsächlich so war oder ob ich es nur zu hören glaubte. Es kam mir vor, als wäre in ihrer Stimme eine neue Intonation aufgetaucht und sogleich wieder verschwunden, eine Art hörbares Lächeln, das dieselbe Bedeutung hatte wie jene erste, entfernt sinnliche Bewegung ihrer Lippen und Zähne, seit der ich mich nicht mehr befangen fühlte in ihrer Gegenwart. Ohne auch nur einen Moment nachzudenken, was ich sagte, und als hätte ich den gerade gefassten Entschluss, sie nicht zu fragen, so vollkommen vergessen, wie wenn er nie gefasst worden wäre, sagte ich:
»Ich würde es bedauern, von Ihnen Abschied zu nehmen, ohne Ihren Vor- und Vatersnamen und ohne Ihre Adresse erfahren zu haben. Schließlich könnte ich, falls Ihr Interesse am Sport von Dauer ist, Ihnen vielleicht noch von Nutzen sein.«
»Gut möglich«, sagte sie. »Ich heiße Jelena Nikolajewna. Das ist meine Adresse und Telefonnummer. Sie notieren sie nicht?«
»Nein, das merke ich mir.«
»Sie verlassen sich dermaßen auf Ihr Gedächtnis?«
»Vollkommen.«
Sie sagte, bis ein Uhr mittags und abends von sieben bis neun sei sie immer zu Hause, schlug die Autotür zu und fuhr davon.
Ich begab mich zu Fuß in Richtung der Druckerei; die Nacht war sehr neblig, dazu regnete es ohne Unterlass. Mit hochgeschlagenem Mantelkragen ging ich und dachte gleichzeitig an die unterschiedlichsten Dinge.
›Johnsons Rang, der bislang als strittig galt, trat gestern mit solcher Unbezweifelbarkeit zutage, dass diese Frage nun im allerpositivsten Sinne beantwortet sein dürfte. Im übrigen stand das zu vermuten, und für einige Journalisten, die gewisse Informationen über die Karriere des neuen Weltmeisters hatten, war der Ausgang des Kampfes von vornherein klar.‹
›Sie sagte: Sie werden von Ihren beruflichen Verpflichtungen gerufen – das klingt nicht ganz russisch. Im übrigen war es der einzige Fehler, den sie gemacht hat.‹
›Dubois’ Tapferkeit kann man nur Respekt zollen. Jene Mängel, die in seinen früheren Wettkämpfen mit Boxern von letztlich mittlerem Rang keine besondere Rolle spielten, haben ihn diesmal, im Kampf gegen einen technisch so perfekten Gegner wie Johnson, zugrunde gerichtet.‹
›Sie hat etwas unnatürlich Anziehendes, und diese Disharmonie ihres Gesichts entspricht vielleicht einer seelischen Anomalie.‹
›Was in allen Tonlagen und andauernd von Johnson behauptet wurde, nämlich dass er nicht über genügend Schlagkraft für einen Knockout verfüge,
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