Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Phantom des Alexander Wolf

Phantom des Alexander Wolf

Titel: Phantom des Alexander Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Gasdanow
Vom Netzwerk:
seine Magerkeit, seine deutlich sichtbaren Rippen, seine Arme und Beine, die im Vergleich zu Dubois’ Armen und Beinen besonders dünn erschienen. Aber als ich ihn aufmerksamer betrachtete, sah ich, dass er einen riesigen Brustkorb hatte, breite Schultern, Beine von fast balletthafter Schönheit und dass an seinem unbehaarten Rumpf, leicht und gefügig unter der glänzenden Haut, kleinere, flache Muskeln spielten. Er war blond und hatte ein hässliches und bewegliches Gesicht. Dem Aussehen nach hätte man ihn auf neunzehn geschätzt; in Wirklichkeit war er vierundzwanzig. Auch ihm wurde applaudiert, doch natürlich nicht so wie Dubois. Er verneigte sich ohne Lächeln, und nach dem Gongschlag begann der Kampf.
    Anfangs erschien es mir beunruhigend, dass Johnsons Verteidigung, die der klassischen Haltung von Dempsey glich – beide Fäuste fast auf Augenhöhe –, für einen Kampf gegen Dubois offenkundig untauglich war, da sie den gesamten Rumpf völlig ohne Deckung ließ. Aber schon nach der ersten Runde sah ich meinen Fehler ein: Johnsons tatsächliche Verteidigung bestand nicht in der oder jener Haltung, sondern in der ungewöhnlichen Schnelligkeit seiner Bewegungen. Dubois begann den Kampf in ungestümem Tempo, was für ihn untypisch war; anscheinend gehorchte er völlig den vorsorglichen Anweisungen seines Managers. Es fiel auf, wie ausgezeichnet er trainiert war, ich hatte ihn noch nie so hervorragend in Form gesehen. Von der Stelle, wo ich stand, sah ich deutlich seine unaufhörlichen Schläge und hörte ihr hüpfendes, dumpfes Aufklatschen, das von fern an ein weiches, unregelmäßiges Getrappel erinnerte. Die Schläge trafen auf die offene Brust Johnsons, und der wich zurück, in Kreisen durch den Ring. Dubois’ Attacke war dermaßen ungestüm, dass die Aufmerksamkeit des Publikums nur auf ihn gerichtet war. An Johnson schien niemand zu denken; einer meiner Nachbarn sagte laut und voller Empörung: »Aber er existiert ja gar nicht, er ist nicht im Ring, ich sehe nicht einmal seinen Schatten!« – »Das ist kein Wettkampf, das ist Mord!«, schrie eine Frauenstimme. Durch die Menschenmenge angefeuert, griff Dubois immer wütender seinen Gegner an; zu sehen waren seine runden, sich rasch bewegenden Schultern, das schwere Umsetzen seiner massiven Beine, und aus der Distanz wirkte es unwillkürlich, als wäre jeder Widerstand gegen diese lebendige, unaufhaltsame Maschine unmöglich. Die gesamte Menschenmenge dachte so, und nur wenige Zuschauer, die kaltes Blut bewahrten und aufmerksam den Kampf verfolgten, konnten diese Meinung nicht teilen.
    »Immer dieselbe Geschichte mit den Amerikanern!«, schrie mein Nachbar. »In Amerika vollbringen sie Wunder, und in Europa schlägt sie jeder, wie er will!«
    Wegen des außerordentlich raschen Tempos in der gesamten ersten Runde konnte ich nicht beurteilen, inwieweit Johnson die Lage im Griff hatte. Erst während der Pause fiel mir auf, dass er gleichmäßig und ruhig atmete und sein Gesicht nun jenen gespannten und selbstsicheren Ausdruck hatte, den ich von Zeitungsporträts kannte.
    Die zweite und die dritte Runde waren eine Wiederholung der ersten. Ich hätte nie gedacht, dass Dubois zu derart schnellem und rasendem Angriff fähig wäre. Doch schon da wurde sichtbar, dass er mit seinen corps à corps, denen Johnson beständig auswich, keinen Erfolg hatte. Darauf legte Dubois es jedoch an, er scheute keine Anstrengung. Sein Körper glänzte vor Schweiß, aber die Schläge prasselten nach wie vor im selben Rhythmus, ohne einen Moment abzuflauen. Johnson war weiterhin die ganze Zeit auf dem Rückzug, fast beschrieb er im Ring exakte Kreise. Am Ende der vierten Runde sah es so aus, als wäre der Kampf unwiderruflich gewonnen und als bedürfte es für die endgültige Entscheidung nur noch irgendwelcher Formalitäten (die Schläge prasselten weiterhin auf Johnson, der sich wie durch ein Wunder auf den Beinen hielt – coup de grâce! coup de grâce!, schrien von oben durchdringende Stimmen, t’as qu’ à en finir, Mimile! 9 , doch da kam es im Ring plötzlich zu einer Bewegung, einer so blitzartigen, dass es buchstäblich niemand mitbekam, gleich darauf hörte man das dumpfe Geräusch eines fallenden Körpers, und ich sah, wie Dubois mit seinem ganzen Gewicht zu Boden sackte. Das war derart unerwartet und unglaublich, dass den riesigen Palais des Sports ein gemeinsames Aufstöhnen der Menge durchlief, gleichsam ein ungeheurer Seufzer. Sogar der Ringrichter war dermaßen

Weitere Kostenlose Bücher