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Phantom des Alexander Wolf

Phantom des Alexander Wolf

Titel: Phantom des Alexander Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Gasdanow
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fassungslos, dass er nicht gleich die Sekunden zu zählen begann. In der siebten Sekunde lag Dubois’ Körper noch unbeweglich. In der achten erklang der Gong, der das Ende der Runde verkündete.
    Ab der fünften Runde bekam der Boxkampf einen völlig anderen Charakter. Genauso, wie bis zur vierten Pause nur Dubois im Ring gewesen zu sein schien, trat jetzt Johnson an seine Stelle, und nun ließen sich seine außergewöhnlichen Qualitäten beurteilen. Es war eine Lektion in klassischem Boxen, und Johnson erschien als unfehlbarer Meister, unfähig, auch nur einen Fehler zu begehen. Zudem schonte er offenkundig seinen Gegner. Dubois, halb benommen, rückte jetzt fast blindlings vor und stieß unweigerlich auf Johnsons Fäuste. Er fiel noch oft, erhob sich aber unter unsäglicher Anstrengung und verteidigte sich zuletzt kaum mehr, deckte nur hilflos das Gesicht mit den Händen und ertrug mit seiner üblichen, diesmal beinahe unbewussten Tapferkeit alle Schläge. Das eine Auge war zu, über sein Gesicht rann Blut, das er automatisch ableckte, und hörbar schluckte er Speichel. Es war unverständlich, warum der Ringrichter nicht den Kampf abbrach. Johnson ließ ein paarmal mitten in der Runde die Hände sinken, schaute fragend mal auf Dubois, mal auf den Ringrichter, und ich hörte deutlich, wie er sagte: But he’s dead 10 , dann zuckte er jedoch die Achseln und setzte die jetzt unnötige Demonstration seiner erstaunlichen Kunst fort. Und erst zu Beginn der sechsten Runde traf in einer ebenso schnellen Bewegung, die aber diesmal alle sahen, seine rechte Faust mit ungewöhnlicher Kraft und Exaktheit Dubois’ Kinn, und Dubois wurde in bewusstlosem Zustand aus dem Ring getragen. Im Saal herrschte Getöse und Geschrei, nun bereits formlos und sinnlos, und die Menge begann langsam auseinanderzugehen.
    Der Winterregen strömte unaufhörlich. Ich trat mit meiner Begleiterin hinaus, hielt ein Taxi an und fragte sie, wohin sie fahre.
    »Sie waren so liebenswürdig«, sagte sie, ohne die Tür des Autos zu schließen, in dem sie bereits saß, »ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll.«
    »Mein Vorschlag wäre, dass wir einen Kaffee trinken, das empfiehlt sich nach starken Empfindungen«, sagte ich. Sie willigte ein, und wir fuhren zu einem Nachtcafé in der Rue Royale. An den Autoscheiben rollten Regentropfen herab, sie glänzten matt im Schein der Straßenlaternen.
    »Weshalb dachten Sie, dass Johnson den Kampf gewinnen würde?«, fragte sie. Ich legte ihr ausführlich meine diesbezüglichen Überlegungen dar.
    »Sie haben amerikanische Zeitungen studiert?«
    »Das gehört zu meinen beruflichen Pflichten.«
    Sie verstummte. Seltsamerweise war ich befangen in ihrer Gegenwart, und ich bedauerte allmählich, dass ich sie ins Café eingeladen hatte. Jedesmal, wenn das Auto in einen Streifen Laternenlicht kam, sah ich ihr kaltes und ruhiges Gesicht, und nach einigen Minuten überlegte ich, weshalb ich eigentlich einen Kaffee trinken wollte mit dieser unbekannten Frau, deren Gesichtsausdruck so abwesend war, als säße sie beim Friseur oder in einem Waggon der Metro.
    »Für einen Journalisten sind Sie nicht sehr gesprächig«, sagte sie nach einiger Zeit.
    »Ich habe Ihnen ausführlich geschildert, weshalb ich dachte, Johnson würde den Kampf gewinnen.«
    »Und damit sind Ihre Möglichkeiten als Gesprächspartner erschöpft?«
    »Ich weiß nicht, welche Themen Sie interessieren. Ich nahm an, es wäre hauptsächlich der Boxsport.«
    »Nicht immer«, sagte sie, und in diesem Moment hielt das Taxi. Wenig später saßen wir an einem Tischchen und tranken Kaffee. Jetzt erst betrachtete ich meine Begleiterin eingehender, genauer gesagt, bemerkte ich an ihr eine Besonderheit: Sie hatte einen überraschend großen Mund mit vollen und begierigen Lippen, und das verlieh ihrem Gesicht etwas Disharmonisches, regelrecht etwas Künstliches, denn die Verbindung ihrer Stirn mit der unteren Gesichtshälfte rief sogar den ein wenig bedrückenden Eindruck einer anatomischen Fehlbildung hervor. Aber als sie zum erstenmal lächelte und dabei, den Mund leicht geöffnet, ihre ebenmäßigen Zähne entblößte – da huschte mit einemmal ein Ausdruck von Wärme und sinnlichem Charme über ihr Gesicht, der noch einen Augenblick vorher als völlig unmöglich erschienen wäre. Ich sollte mich später oft daran erinnern, dass ich von diesem Augenblick an ihr gegenüber nicht mehr die Befangenheit empfand, die mich bislang gehemmt hatte. Nun war mir

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