Phantom des Alexander Wolf
Berichten über diese Empfänge hieß es nach wie vor: »Unter den Anwesenden bemerkten wir auch unseren hochberühmten Maler…« Der junge Mann genoss sein spezielles – und originelles – Glück zwanzig Kilometer außerhalb von Paris, während die Zeitungen Photographien von ihm und seinen Eltern abdruckten, Erklärungen von Inspektoren der »Brigade vornehme Welt« und so weiter. Ich schrieb innerhalb einer Woche vierzehn Artikel über diese drei Ereignisse und hatte mein Budget im Nu saniert. Dubois’ Manager forderte Revanche, beschuldigte den Ringrichter der Parteilichkeit und schrieb sogar den Text einer Erklärung von Dubois, worin quasi dieser erläuterte, er habe eine bestimmte Taktik verfolgt, habe den Kampf in den letzten Runden gewinnen wollen, und Johnsons Knockout sei offenbar Zufall gewesen. Der Manager beharrte überdies auf seiner Ansicht, die meisten Berichte über den Wettkampf seien in einem unzulässigen Ton verfasst, und er betonte, es sei ihm peinlich gewesen, solche Äußerungen in der Pariser Presse zu lesen. Aus diesem Anlass wurden noch ein paar Artikel veröffentlicht, offiziell zu dem Zweck, die Wahrheit wiederherzustellen; aber sowohl der Manager wie auch die Journalisten wussten nur zu gut, dass es überhaupt nicht um die Wahrheit ging, sondern um die Interessen des Managers und von Dubois, dem für die folgenden Wettkämpfe nach seiner Niederlage das Honorar gekürzt werden sollte. Das war unausweichlich, doch musste man alles tun, damit die Kürzung nicht zu heftig ausfiele.
Ich fühlte mich in diesen Tagen leicht und erregt, ungefähr wie in meiner frühen Jugendzeit, als mir der Aufbruch zu einer weiten Reise bevorstand, von der ich womöglich nicht zurückkehren würde. Der Gedanke an meine Begleiterin vom Abend des Wettkampfs Johnson–Dubois kehrte unentwegt zu mir zurück, und ich wusste intuitiv, mit untrüglicher Sicherheit, dass meine nächste Begegnung mit ihr nur eine Frage der Zeit war. Schon hatte eine seelische und körperliche Bewegung in mir begonnen, gegen die alle äußeren Gegebenheiten meines Lebens machtlos waren. Ich dachte daran mit ständiger Unruhe, denn ich wusste, in diesem Fall würde ich meine Freiheit stärker aufs Spiel setzen als je zuvor, und um mir das zu bestätigen, brauchte ich ihr nur in die Augen zu schauen, ihr Lächeln zu erblicken und jene eigenartige und irgendwie feindliche Anziehungskraft zu spüren, die ich schon am ersten Abend unserer Bekanntschaft empfunden hatte. Ich wusste natürlich nicht, welche Gefühle sie mir gegenüber gehegt hatte in dieser Februarnacht. Doch obwohl ich sie eigentlich nur eine Stunde lang gesehen hatte, nicht mehr, nämlich als wir nach dem Boxkampf im Café saßen, kam es mir vor, als ob ihr Lächeln und die letzte Intonation ihrer Stimme kein Zufall gewesen wären und als ob das noch viele andere Dinge nach sich ziehen müsste, vielleicht wunderbare, vielleicht traurige, vielleicht traurige und wunderbare gleichermaßen. Doch war es natürlich möglich, dass ich mich täuschte und dass meine damaligen Empfindungen ebenso unzutreffend und zufällig waren wie die vagen und verschwommenen Umrisse der Häuser, Straßen und Menschen hinter dem nassen und nebligen Vorhang des Regens.
Mir fiel ein, dass sie damals, beim Abschied, nicht nach meinem Namen gefragt hatte. Sie erwartete entweder meinen Besuch oder meinen Telefonanruf mit jener ruhigen und fast gleichgültigen Sicherheit, die mir überhaupt für sie charakteristisch zu sein schien.
Ich rief sie um zehn Uhr morgens an, genau acht Tage nach dem Wettkampf.
»Hallo, ich höre«, sagte ihre Stimme.
»Guten Tag«, sagte ich und nannte meinen Namen, »ich wollte mich nach Ihrem Befinden erkundigen.«
»Oh, das sind Sie? Danke Ihnen, es geht mir wunderbar. Waren Sie womöglich krank?«
»Nein, nur hat sich in dieser Zeit vieles ereignet, was mich des Vergnügens beraubte, Ihre Stimme zu hören.«
»Ereignisse persönlicher Art?«
»Nein, sie betrafen mich mittelbar, waren zudem recht öde, besonders in telefonischer Nacherzählung.«
»Sie könnten sie auch nicht am Telefon erzählen.«
»Dann müsste ich Gelegenheit haben, Sie zu sehen.«
»Ich halte mich nicht verborgen, das ist leicht einzurichten. Wo werden Sie heute dinieren?«
»Ich weiß nicht, darüber habe ich noch nicht nachgedacht.«
»Kommen Sie doch zu mir, so um sieben, halb acht.«
»Ich fürchte, Ihre Liebenswürdigkeit zu missbrauchen.«
»Würden wir beide uns ein bisschen
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