Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Phantom des Alexander Wolf

Phantom des Alexander Wolf

Titel: Phantom des Alexander Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Gasdanow
Vom Netzwerk:
sehr beunruhigendes Zeichen.«
    »Ich fürchte mich nicht«, sagte sie mit ihrem unerklärlich begierigen Lächeln. Ich sah ihren lächelnden Mund, ihre gleichmäßigen, kräftigen Zähne und das matte Rot ihrer leicht geschminkten Lippen. Ich schloss die Augen, ich verspürte eine stürmische Trübung der Sinne. Doch mit außerordentlicher Anstrengung bezwang ich mich und blieb dem Anschein nach ruhig, wie ich annahm, in meinem Sessel sitzen, obgleich jeder Muskel an meinem Körper schmerzhaft gespannt war.
    »Sie schließen die Augen«, sagte ihre ferne Stimme, »möchten Sie vielleicht schlafen nach dem Diner?«
    »Nein, ich suche mich nur an einen Satz zu erinnern.«
    »Was für einen Satz?«
    »Einen Spruch von König Salomo.«
    »Weit fort hat es uns beide getragen.«
    Dieses »uns beide« war ihre zweite Bewegung.
    »Was ist das für ein Spruch?«
    »Er zeichnet sich durch einen gewissen metaphorischen Überfluss aus«, sagte ich, »der unseren heutigen Ohren wohl etwas zweifelhaft erscheint, in stilistischer Hinsicht natürlich. Doch ich hoffe, Sie berücksichtigen den Umstand, dass er vor sehr langer Zeit geschrieben wurde.«
    »Mein Gott, wie viele Worte Sie machen! Welcher Spruch?«
    »König Salomo sagte, er begreife drei Dinge nicht.«
    »Welche?«
    »Den Weg der Schlange am Felsen.«
    »Das ist gut.«
    »Den Weg des Adlers am Himmel.«
    »Auch gut.«
    »Und den Weg des weiblichen Herzens zum männlichen Herzen.«
    »Den begreift, glaube ich, niemand«, sagte sie mit überraschend nachdenklicher Intonation. »Doch Sie finden das ungeschickt ausgedrückt? Weshalb?«
    »Nein, es ist vielleicht eine schlechte Übersetzung. Jedenfalls klingt der letzte Teil des Spruchs nicht gut. ›Der Weg des weiblichen Herzens zum männlichen Herzen‹, das erinnert ein wenig an ein Grammatiklehrbuch.«
    »Ich würde in der stilistischen Analyse nicht so weit gehen. Sind Sie ein Verehrer von König Salomo?«
    »Mit gewissen Einschränkungen. Vieles von dem, was er geschrieben hat, erscheint mir nicht so recht überzeugend.«
    Es war ein winterlicher und düsterer Abend, in der Wohnung war es sehr warm. Jelena Nikolajewna saß mir gegenüber im Sessel, die Beine übereinandergeschlagen, ich konnte ihre Knie sehen, und jedesmal, wenn ich hinschaute, ging der Atem mir schwer. Ich merkte, dass die Situation, was mich betraf, allmählich unschicklich wurde. In meiner Phantasie suchte ich jene Bilder wachzurufen, zu deren Hilfe ich auch sonst griff, wie andere Menschen auf mnemotechnische Übungen zurückgreifen. Wenn mich mit derart stürmischer Gewalt ein Gefühl zu übermannen drohte, das ich für fehl am Platz oder, wie jetzt, für verfrüht hielt, stellte ich mir ein riesiges Schneefeld oder eine wellige Meeresoberfläche vor, das half mir fast immer. Diesmal suchte ich dort, wo Jelena Nikolajewna saß, eine Schneefläche zu erblicken, aber durch deren phantasiertes Weiß schimmerte immer schärfer und stärker dieses unbewegliche Gesicht mit den roten Lippen.
    Schließlich stand ich auf, bedankte mich für ihre Gastfreundschaft und wandte mich zum Gehen. Aber als sie mir ihre warme Hand reichte und ich an meinen Fingern ihre Berührung spürte, vergaß ich ebenso augenblicklich meine Absicht zu gehen, wie ich damals in der Nacht vergessen hatte, dass ich nicht fragen wollte, wo sie wohne, und die Begegnung mit ihr nicht suchen wollte. Ich zog sie an mich – sie runzelte die Stirn wegen des Schmerzes, den ich ihr unwillkürlich zufügte, da ich ihr zu stark die Hand drückte; als ich sie umarmte, spürte ich unmittelbar ihren Körper. Erst später, als ich daran zurückdachte, wurde mir klar, dass diese Empfindung in dem Augenblick Einbildung gewesen sein musste: Sie trug ein sehr eng anliegendes Samtkleid.
    Ich wusste, dass jede Frau an ihrer Stelle mir nun ein und denselben Satz sagen müsste:
    »Sie sind verrückt.«
    Aber sie sagte ihn nicht. Mir war, als ob ich mich ihrem Gesicht wie durch einen tödlichen Schlaf näherte. Sie machte keine einzige Bewegung und widersetzte sich nicht, aber im letzten Augenblick drehte sie den Kopf nach links und bot mir den Hals dar. Ihr Kleid war am Rücken mit einer langen Reihe von Samtknöpfen zugeknöpft, sehr strammen, die nicht rutschten. Als ich die beiden obersten Knöpfe aufgemacht hatte, sagte sie mit derselben ruhigen, wenn auch, wie mir schien, ein wenig belegten Stimme:
    »Hier geht das nicht, warten Sie. Lassen Sie mich einen Moment.«
    Ich ließ sie los, sie ging in

Weitere Kostenlose Bücher