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Phantom des Alexander Wolf

Phantom des Alexander Wolf

Titel: Phantom des Alexander Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Gasdanow
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Liebhaber«, und jedesmal empfand ich es als unangenehm, wenn ich diese Worte gerade aus ihrem Mund hörte und gerade auf sie bezogen, obgleich ich wusste, dass es nicht anders sein konnte und dass kein einziges Ereignis aus ihrem Leben willkürlich getilgt werden dürfte, andernfalls hätte sie danach nicht mehr für mich existiert, denn ich wäre ihr niemals begegnet, wenn sie einen Liebhaber mehr oder einen weniger gehabt hätte. Außerdem sprach sie das Wort in einem Tonfall aus, als wäre die Rede von einem unwichtigen und nur zeitweiligen Bediensteten.
    Mehrfach war mir aufgefallen, und jedesmal zu meiner Verwunderung, dass Frauen gewöhnlich äußerst offen zu mir waren und mir besonders gern ihr Leben erzählten. Ich habe eine Vielzahl von Geständnissen gehört, manchmal von einer Art, dass ich verlegen wurde. Am unerklärlichsten erschien mir dabei, dass ich zu den meisten meiner Gesprächspartnerinnen im Grunde gar keine Beziehung hatte, mich verband mit ihnen schlichte Bekanntschaft. Ich stellte mir mehrfach die Frage, womit sich solche Ergüsse eigentlich rechtfertigen ließen, hatten sie doch wirklich keinen Anlass, weder einen äußeren noch einen inneren. Aber da mich das letzten Endes nicht sehr interessierte, verlor ich nie allzu viel Zeit, um es zu erörtern. Ich wusste nur, dass Frauen mir gegenüber offen waren, und das war mir mehr als genug, denn das brachte mich manchmal in eine unangenehme Situation. Jelena Nikolajewna bildete in dieser Hinsicht eine Ausnahme. Sie war zwar durchaus imstande, ein paarmal »mein früherer Liebhaber« oder »mein damaliger Liebhaber« zu sagen, im gleichen Tonfall, wie sie »meine Wäscherin« oder »meine Köchin« gesagt hätte, aber damit begnügte sie sich. Sehr selten gab es bei ihr kurze Momente der Offenheit, dann erzählte sie etwas und war mir gegenüber überraschend grausam – durch die schlichten Ausdrücke, die sie verwendete, durch die Erwähnung einiger zu realistischer Einzelheiten, und es war mir peinlich für sie. Aber worüber sie bisher nie und unter gar keinen Umständen gesprochen hatte, war ihr Seelenleben.
    Einmal saß ich abends bei ihr; durch die halb zugezogenen Vorhänge drang von draußen das gedämpfte Licht der runden Straßenlaternen. Über ihrem Diwan brannte der Wandleuchter. Ich stand auf und ging ans Fenster. Der Himmel war sternenklar.
    »Manchmal tust du mir leid«, sagte ich. »Ich habe den Eindruck, als wärst du mehrfach hintergangen worden, und das jedesmal, nachdem du etwas gesagt hattest, wovon du besser geschwiegen hättest, so dass du es schließlich bereuen musstest. Ich befürchte, dass es unter deinen Verehrern Männer gab, die man nicht als Gentlemen bezeichnen könnte, und nun – hast du dich einmal an Milch verbrannt, pustest du auch auf Wasser.«
    Ich drehte mich um. Sie schwieg, ihr Gesicht hatte einen zerstreuten und fernen Ausdruck.
    »Vielleicht«, fuhr ich fort, »hast du auch so etwas wie einen seelischen Pneumothorax. Aber welcher Arzt hatte die Grausamkeit, dir das anzutun?«
    »Vor zwei Jahren in London«, sagte sie mit ihrer ruhigen und trägen Stimme, »lernte ich einen Mann kennen.«
    Und eine kaum wahrnehmbare Intonation ließ mich sofort aufhorchen. Ich blieb am Fenster stehen. Mir schien, wenn ich zu ihr ginge oder mich in den Sessel neben dem Diwan setzte oder auch nur ein paar Schritte durchs Zimmer machte, würde schon meine erste Bewegung ihre Stimmung umschlagen lassen, und ich würde nie erfahren, was sie mir sagen wollte. Ich wandte nicht einmal den Kopf; in solch gespannter Unbeweglichkeit lauschte ich ihrem Bericht. Sie sprach diesmal mit absoluter und ungeschützter Offenheit – es war eingetreten, worauf ich so lange und so beharrlich gewartet hatte.
    Begonnen hatte es auf einer Abendgesellschaft bei Bekannten. Der Hausherr war ein Mann um die fünfzig, seine Frau war zwanzig Jahre jünger als er.
    Ich hätte gern gefragt, welche Bedeutung die Einzelheiten über das Alter der Gastgeber für das Kommende hätten, aber ich schwieg.
    Nach einem opulenten Mahl gab es improvisierte Darbietungen. Einer der Gäste sang nicht übel, ein anderer trug Gedichte vor, eine Dame tanzte sehr nett. Zuletzt kam ein hochgewachsener Mann an die Reihe, der auf dem Flügel Stücke von Skrjabin spielte. Auf Jelena Nikolajewna wirkte diese Musik ungemein niederdrückend, und das verband sich unwillkürlich mit dem Interpreten. Als er sie im Lauf des Abends zum Tanzen aufforderte, kostete es sie

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