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Phantom des Alexander Wolf

Phantom des Alexander Wolf

Titel: Phantom des Alexander Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Gasdanow
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ging in den Garten; dort stand der Tod. Er sagte zum Tod: Weshalb hast du meinen Gärtner so erschreckt, weshalb bist du ihm erschienen? Der Tod erwiderte dem Schah: Ich habe das nicht gewollt. Ich war erstaunt, deinen Gärtner hier zu sehen. In meinem Buch steht geschrieben, ich würde ihm heute Nacht weit von hier begegnen, in Isfahan.«
    Nach einer Weile fuhr er fort:
    »Ich kenne viele Fälle, in denen der Sinn einer solchen Bewegung sich besonders klar darstellt. Ich habe Ihnen von dem Schneider erzählt. Hier ein anderes Beispiel: ein russischer Offizier, erst war er im Weltkrieg, dann im russischen Bürgerkrieg. Sechs Jahre verbrachte er auf vorgeschobenem Posten. Fast alle seiner Kameraden kamen um. Er wurde mehrfach verwundet, einmal kroch er, zwei Kugeln im Leib, unter Beschuss vier Kilometer weit. Viele Male entging er wie durch ein Wunder dem Tod. Doch er blieb am Leben. Dann war der Krieg zu Ende, er kam in das friedliche Griechenland, wo ihm, sollte man meinen, nichts gefährlich werden konnte. Zwei Tage nach seiner Ankunft ging er nachts durch den Vorort eines kleinen asiatischen Städtchens, fiel in einen Brunnen und ertrank. Überlegen Sie doch – lohnte es sich denn, solch eine schreckliche Anstrengung, unter Beschuss wegzukriechen, dabei vor Schwäche ständig das Bewusstsein zu verlieren, lohnte es sich denn, so viel unbeirrbare Tapferkeit und so viel Heldenmut aufzubringen, um eines Nachts in einem Brunnen zu ertrinken, nachdem alle Gefahren überwunden waren?«
    »Und Sie glauben, der Sinn all dessen, was existiert, sei letztlich dieser tödliche Fatalismus?«
    »Das ist kein Fatalismus, das ist die Richtung des Lebens, das ist der Sinn jeglicher Bewegung. Vielmehr, nicht der Sinn, sondern die Bedeutung.«
    »Sie haben der Erörterung dieses Problems offenbar viel Zeit gewidmet. Sicher mussten Sie auch darüber nachdenken, in welchem Maße Ihr eigenes Leben…«
    Er wurde plötzlich noch bleicher. Die Geigen spielten besonders schrill.
    »Vor vielen Jahren«, sagte er, »bin ich meinem Tod begegnet, ich sah ihn so klar wie dieser persische Gärtner. Aber kraft eines ungewöhnlichen Zufalls ließ er mich entkommen. Elle m’a raté 13 , ich weiß nicht, wie ich es anders sagen soll. Ich war sehr jung, ich flog ihm entgegen, Hals über Kopf, aber dieser Zufall, von dem ich sprach, rettete mich. Jetzt gehe ich langsam in seine Richtung, und im Grunde muss ich ihm dafür dankbar sein, dass er in seinem Buch offenbar die falsche Seite aufgeschlagen hat, denn das verschafft mir das Glück, Ihnen in die Augen zu sehen und Ihnen diese halbphilosophischen Gedankensplitter darzulegen.«
    »Es kam mir damals vor, als wäre alles gegen mich«, sagte Jelena Nikolajewna, »der Abend, die Musik, dieses Gesicht mit den funkelnden Augen. Aber ich hatte noch die Kraft, mich zu widersetzen. Sie reichte allerdings nicht lange.«
    Sie traf sich mit ihm ungefähr einmal pro Woche. Nach dem ersten Rendezvous im Restaurant wurde er eine Zeitlang seiner damaligen – philosophischen, wie sie sagte – Strategie untreu, er sprach über Pferderennen, über Filme, über Bücher, und je besser sie ihn kennenlernte, desto augenfälliger wurde ihr, dass er um Kopfeslänge alle überragte, denen sie bislang begegnet war. Und dennoch, trotz all der klugen und treffenden Dinge, trotz dieser ganzen Welt, die sich vor ihr auftat und die sie nicht gekannt hatte – es lag über allem eine Schicht kalter und ruhiger Verzweiflung. Sie hörte niemals auf, sich innerlich zu widersetzen. Seinen Erörterungen konnte sie nichts entgegenhalten, das wäre ein zu ungleiches und von vornherein verlorenes Streitgespräch gewesen. Aber ihr ganzes Wesen lehnte sich dagegen auf, sie wusste, dass dies nicht richtig war, oder wenn es richtig war, so müssten – und das lohnte sich – übermenschliche Anstrengungen unternommen werden, um es sofort zu vergessen und niemals dahin zurückzukehren.
    »Jede Liebe ist der Versuch, sein Schicksal aufzuhalten, es ist die naive Illusion einer kurzen Unsterblichkeit«, sagte er einmal. »Dennoch ist es wohl das Beste, was uns zu erfahren gegeben ward. Aber selbst darin lässt sich natürlich die langsame Arbeit des Todes erblicken. ›Vouloir nous brûle et pouvoir nous détruit 14 ‹, das finden Sie im ›Chagrinleder‹ von Balzac.«
    Sie stellte sich die Frage: Was gab diesem Mann Lebenskraft? Woran andere glaubten, existierte nicht für ihn; auch die besten, die schönsten Dinge verloren ihren Reiz,

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